Virgin Road – Die Henkerin und ihre Art zu leben: Interview mit Mato Sato, nilitsu & Ryo Mitsuya

© Mato Sato Illustrations © nilitsu / SB Creative Corp. ©Mato Sato/SB Creative Corp. Original Character Designs:©nilitsu/SB Creative Corp. ©2021 Ryo Mitsuya/SQUARE ENIX

Seit Januar veröffentlicht altraverse die Isekai-Reihe Virgin Road – Die Henkerin und ihre Art zu leben – auch eine Anime-Adaption ist für dieses Frühjahr angekündigt. In der AnimaniA 2/2022 präsentierten wir euch zum Light-Novel- und Manga-Release-Start ein großes Interview mit Originalautor Mato Sato, Light-Novel-Illustrator nilitsu und Manga-ka Ryo Mitsuya. Da ihre Antworten sehr detailliert waren, gab es leider mehre Fragen und Antworten, die es nicht ins Heft geschafft haben. Deshalb präsentieren wir euch heute hier noch mal das vollständige Interview – viel Spaß!

Hallo meine Herren, und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Interview nehmen. Würden Sie unseren Leser:innen zunächst Ihren beruflichen Werdegang beschreiben?

nilitsu: Erst einmal vielen Dank für diese besondere Gelegenheit! Ursprünglich war ich als Grafikdesigner bei einem PC-Game-Hersteller tätig. Damals habe ich hobbymäßig gezeichnet und ab und zu Aufträge erhalten. Nachdem ich die Game-Firma verlassen hatte, nahmen die zeichnerischen Arbeiten zu und ich landete schließlich da, wo ich jetzt bin. Beeinflusst haben mich Range Murata, Inoji Ito und Shou Tajima, die mich durch ihre niedlichen und coolen Werke begeistert haben.
Ryo Mitsuya (RM): Ich habe eine Highschool für Design besucht und danach eine Fachschule. Während dieser Zeit habe ich einige Illustrationsaufträge bekommen und auch Mangas gezeichnet, die von Redakteuren verschiedener Verlage begutachtet wurden. Damals wollte ich sehr gerne Mangas zeichnen, hatte aber nicht wirklich vor, Manga-ka zu werden. Ich wollte alle Arten von Illustrationsaufträgen annehmen, daher waren meine Aktivitäten verglichen mit anderen, die den Beruf Manga-ka anstrebten, nicht so zielstrebig. Nach Abschluss der Schule war ich aber auch als Manga-Assistent für das Zeichnen von Hintergründen tätig.
Mato Sato (MS): Für meine Berufswahl war entscheidend, dass ich selbst als Leser Light Novels mag. Am meisten habe ich in meiner Schulzeit von 2000 bis 2010 gelesen, was für mich bis heute eine große Stütze beim Schreiben ist. Außerdem habe ich online Storys auf
Seiten wie Shosetsuka ni Naro und Kakuyomu veröffentlicht. Es war damals wirklich bahnbrechend, dass man anderen plötzlich die eigenen Werke zugänglich machen konnte, auch wenn man im echten Leben keine Gleichgesinnten um sich hatte! Es gibt viele Autoren, die mich inspiriert haben, aber keinen besonderen, der mich bei meiner Wahl, selbst Autor zu werden, beeinflusst hat. Es war eher so, dass ich einfach das schrieb, was ich mochte und dass ich mir aus professioneller Sicht Anerkennung für meine Storys wünschte. Dass ich schließlich debütieren konnte, war auch der Unterstützung der vielen Leser und sonstigen Leute, die mir geholfen haben, zu verdanken.

Herr Sato, Ihre Light Novel Virgin Road dreht sich um eine Henkerin in einem Fantasy-Reich, die unfreiwillige Besucher aus unserer Welt tötet, weil sie eine Gefahr darstellen. Wie ist diese Idee entstanden?

MS: Ich hatte zwar bewusst auf die stereotypischen Elemente des Genres „Isekai“ geachtet, was damals bereits für Light Novels zum Standard geworden war, überlegte aber gleichzeitig auch, was schockierend für die Leser sein könnte. Dieser Ansatz und die Denkweise wurden zur Basis meiner Geschichte.

Das Fantasy-Reich, das Sie in Virgin Road entwerfen, ist aus den Fugen geraten – versinnbildlicht durch vier „Human Error“ genannte Katastrophen, die die Kontinente dieser Welt zerstört haben. Was hat Sie dazu inspiriert?

MS: Beim Weltentwurf überlegte ich, wie dieser wohl auf die Geschichte einwirken würde. Durch die „Human Errors“ im Norden, Westen, Süden und Osten wollte ich leicht verständlich darstellen, wie klein eigentlich die Existenz des Menschen ist, aber dass er die Welt nichtsdestotrotz entscheidend beeinflussen kann. Was dieses Werk betrifft, habe ich mich nicht unbedingt von Mythologie oder Legenden beeinflussen lassen, sondern eher Sci-Fi-Elemente wie Steampunk als Referenz genommen.

Wie gehen Sie beim Entwickeln der Geschichte von Virgin Road vor?

Illustration © nilitsu

MS: Mir fallen zunächst die Szenen ein, die ich gerne schreiben möchte. Im Fall von Virgin Road hatte ich zunächst die Szene der ersten Schwarzweiß-Illustration in Band 1 im Kopf. Ich überlegte, wie man diese interessant entwickeln könnte. So ergeben sich manchmal überraschende Wendungen, bis ich bei der Szene, die mir als Erstes eingefallen war, endlich ankomme. Ein weiteres Beispiel aus Band 1: Der Charakter Ashuna war eigentlich im Plot noch gar nicht vorgesehen, und um ehrlich zu sein, existierte damals noch nicht einmal Akaris Background, der schließlich zur Grundlage wurde. Es kommt häufig vor, dass mir gute Ideen erst peu à peu einfallen, mit denen ich dann das Worldsetting ergänzend ausarbeite.

Der Kirchenorden, dem Menou angehört, heißt „Faust“, und die Erzbischöfin „Orwell“: Haben diese Namen eine bestimmte Bedeutung?

MS: Ich hatte definitiv Goethes Faust im Kopf, aber auch der ähnliche Klang zu „First“ hat eine Rolle gespielt. Die tiefgründige Erzählung und das universelle Thema, das typisch für ein Drama ist, finde ich sehr attraktiv. Ich hoffe, dass das Werk durch diesen Bezug an Tiefe gewonnen hat. Den Namen Orwell habe ich allein wegen des Klangs ausgewählt.

nilitsu, Sie steuern die Zeichnungen zur Light Novel Virgin Road bei: Wie kam es dazu, dass Sie für diese Aufgabe verpflichtet wurden und wie können wir uns die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Sato-san konkret vorstellen?

nilitsu: Ich hatte bereits vor Virgin Road ein anderes Werk für GA Bunko gezeichnet und soweit ich gehört habe, wurde ich aufgrund meiner Arbeit daran ausgewählt. Was meine Zusammenarbeit mit Sato-sensei betrifft, kommt es in der Regel nicht vor, dass wir zum Zeitpunkt des Auftrags direkt miteinander sprechen. Unser Redakteur Tanaka-san sortiert vorab die grundsätzlichen Vorgaben, bei denen ich jetzt auch nicht von mir aus sage: „Ich möchte das so zeichnen“ oder so. Dafür habe ich, nachdem vorgegeben wurde, „wo etwas sein soll“, relativ freie Hand, wie ich diese grundsätzlichen Vorgaben interpretiere, und kann die vorgegebenen Kompositionen und Inhalte recht frei zeichnen.

Herr Mitsuya, Sie zeichnen die Manga-Adaption von Virgin Road: Genießen Sie bei der Umsetzung ebenso viel kreative Freiheit?

RM: Ich habe schon recht viel Freiheit beim Zeichnen des Mangas. Natürlich nehme ich die Original-Novel als Basis, aber bei der Umsetzung ins Manga-Format kann es auch mal sein, dass wichtige Szenen nicht so intensiv rüberkommen, wenn man sich zu sehr an den Text hält. Es kommt also vor, dass ich nach eigenen Interpretationen Dialoge verändere oder hinzufüge. Dabei werde ich hin und wieder auch unsicher, ob das wohl der Absicht des Originalwerks entspricht. Natürlich lasse ich aber alles überprüfen …
MS: Ich bekomme jedes Mal die Names von Ryo Mitsuya zum Check und bin äußerst zufrieden mit der hervorragenden Qualität, mit der der den Manga zeichnet, zum Beispiel was die Charaktere, deren Bewegungen, die Dialoge und die Story betrifft.
RM: Um ehrlich zu sein, bin ich noch nicht so erfahren darin, Fantasy-Welten zu zeichnen. Deshalb versuche ich, möglichst viele Referenzen von realen Orten zu sammeln. Ich stelle mir etwas vor, und um dieses imaginäre Bild zu vollenden, überlege ich, welcher Ort in der realen Welt ähnlich aussieht. Dann schaue ich mir per Streetview Stadtbilder von diesem Ort an, und wenn ich das Gesamtbild erfasst habe, zum Beispiel was für Arten von Gebäuden es dort gibt, fange ich an zu zeichnen.

nilitsu, Herr Mitsuya, in Virgin Road gibt es vier weibliche Hauptfiguren: die Henkerin Menou, die „Verlorene“ Akari, Menous Dienerin Momo und die Ritterprinzessin Ashuna. Welche davon zeichnen Sie am liebsten?

nilitsu: Ashuna fällt mir beim Zeichnen am leichtesten. Wahrscheinlich, weil ich viele Teile des Charakters gut illustrieren kann. Momo finde ich dagegen schwierig zu zeichnen. Sie hat von allen Figuren die vielfältigste Mimik und ich freue mich, wenn es mir gut gelingt, diese gut umzusetzen.
RM: Ich achte stets darauf, dass die Charaktere nicht zu einseitig wirken. Meiner Meinung nach ist Menou eine Henkerin, die versucht, rein, aufrichtig und stark zu sein, weshalb sie von anderen Leuten sicher als „cool“ angesehen wird. Aber in ihrem Inneren gibt es auch eine Schwäche, nämlich die eines jungen Mädchens, das zu rein und unerfahren ist. Ich versuche daher, sie nicht nur „cool“ darzustellen,
indem ich auch Gesichtsausdrücke hinzufüge, die ihre unreife Seite sichtbar machen.
nilitsu: Die Art, wie Mitsuya-san die Gesichtsausdrücke, Gesten und die niedlichen SD-Versionen der weiblichen Charaktere zeichnet, ist wirklich hervorragend und enthält auch Dinge, die mir selbst eher schwerfallen!
RM: Bei Akari versuche ich, ihre dunkle Seite zu zeigen, die sie hinter ihrer Sorglosigkeit verbirgt, und bei der vornehmen Ashuna achte ich auf ihre unschuldige Ungehemmtheit. Momos Handlungen drehen sich um Menou, daher ist sie leicht zu durchschauen und lässt sich gut zeichnen. Sie ist auch mein Lieblingscharakter. Der krasse Kontrast, wie sie einerseits Menou ihre Zuneigung zeigt und sich andererseits gegenüber anderen verhält, ist amüsant, selbst wenn es sich nicht um eine Comedy-Szene handelt. Was ich besonders an der Story von Virgin Road mag, sind die Gemütsbewegungen der Charaktere. In japanischer Otaku-Sprache nennt man das „Kyodai Kanjo“: „große Gefühle“. Ich denke, der besondere Reiz dieses Werks liegt darin, dass die Konflikte und Intentionen der Figuren sich kreuzen und aufeinanderprallen, wodurch der Charme der Figuren mit dem Fortschreiten der Geschichte zunimmt.

Welche Tools benutzen Sie beim Zeichnen?

RM: Ich zeichne komplett mit CLIP STUDIO. Detaillierte Einstellungen von Tools passe ich jedes Mal an, aber da ich es generell eher mag, mit Tinte auf Papier zu zeichnen, experimentiere ich stets ein wenig herum und probiere, diesen Touch nachzuahmen.
nilitsu: Ich zeichne komplett digital. Für das Zeichnen selbst nutze ich vor allem die Software SAI 2, für die Be- und letzte Ausarbeitung Photoshop. Es erscheinen zwar immer mehr Paint Tools mit praktischen Brushes und Effekten, aber ich scheine mich nicht „vorwärts“ zu entwickeln: Ich benutze nämlich immer weniger Brushes und derzeit höchstens zwei Sorten … Je nach Illustration verwende ich von der Vorzeichnung über das Lineart bis zum fertigen Bild nur eine Brush-Sorte. Sowohl bei Schwarzweiß- als auch bei Farbbildern nutze ich dieselben Brushes, versuche aber, die letzte Ausarbeitung unterschiedlich zu gestalten.

Haben Sie geahnt, dass Sie mit diesem Titel einen so großen Erfolg haben würden?

nilitsu: Ich hatte es gewünscht, aber dass es wirklich so kam, hat mich eher überrascht.
MS: Ich bin ebenfalls überrascht, auch darüber, dass ich eine Interview-Anfrage aus dem Ausland bekomme. Ich bedanke mich ganz herzlich für die Hilfe der vielen Leute, angefangen beim Redakteur, die durch ihre Mühe den Erfolg dieses Werks möglich gemacht haben.

Illustration © nilitsu

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

RM: Ich bin vom Typ her jemand, der nicht aufhören kann, wenn ich einmal anfange, über etwas nachzudenken. Um diese Angewohnheit aufzuhalten, mache ich Dinge, die ich tun kann, ohne nachzudenken. Ich backe Brot oder Süßigkeiten, lese oder schreibe Tagebücher … Texte schreiben finde ich entspannend, weil es erfrischend für meinen Kopf ist. Außerdem mache ich jeden Morgen und Abend Workout und Stretching. Da ich eher dazu neige, zu Hause zu sein, versuche ich Restaurants, Orte oder Events, die mir zufällig auffallen, zu notieren,
und besuche sie, um neue Inspirationen zu sammeln.
nilitsu: Ich schaue oft YouTube. Und wenn ich frei habe, schaue ich gerne Filme.
MS: Ich mag es, im Café zu sitzen und Kaffee und Süßes zu genießen. Ich habe gehört, dass man in Deutschland gar nicht so viel Baumkuchen isst, aber ich mag Baumkuchen ganz besonders! Mein Hobby an sich ist das Schreiben. Wenn ich also bei der Arbeit mal nicht weiterkomme, wende ich mich zur Abwechslung Geschichten zu, die ich hobbymäßig zeichne – quasi als Realitätsflucht. (lacht)

Haben Sie zum Abschluss noch eine persönliche Anime- oder Manga-Empfehlung?

MS: An Animes mag ich vor allem GURREN LAGANN sowie Puella Magi Madoka Magica: The Movie Rebellion, weil ich ohne dieses Werk vielleicht mit dem Schreiben aufgehört hätte. Und das unvergängliche Sport-Meisterwerk Ping Pong! An Mangas: Kaoru Moris Shirley und Ragna Crimson von Daiki Kobayashi.
nilitsu: Ich bin einer von vielen, die im jungen Alter Ghost in the Shell geschaut haben und stark davon beeinflusst wurden!
RM: Am meisten mag ich den Anime Coil – A Circle of Children. Meine Lieblings-Mangas sind TEKKON KINKREET und My Hero Academia. Und wenn ich etwas „Healing“ brauche, lese ich oft Sumikko no Sora-san.

Meine Herren, nochmals vielen Dank für das Interview und alles Gute!
Das Interview führte Lars Wilhelm.

Light Novel © Mato Sato Illustrations © nilitsu / SB Creative Corp.
Manga ©Mato Sato/SB Creative Corp. Original Character Designs:©nilitsu/SB Creative Corp. ©2021 Ryo Mitsuya/SQUARE ENIX