Vinland Saga: Anime-Staff-Interview mit Shuhei Yabuta und Takahiko Abiru

Seit Anfang April erscheint bei KAZÉ Anime die Wikinger-Action-Serie Vinland Saga: Zum Release-Start des spannenden Anime-Epos von Wit Studio (u. a. Ranking of Kings) präsentierten wir euch in der AnimaniA-Ausgabe 2/2022 nicht nur ein großes Interview mit dem Original-Manga-ka Makoto Yukimura, sondern auch eines mit Shuhei Yabuta und Takahiko Abiru, dem Regisseur und dem Charakterdesigner und Chief Animation Director der Anime-Adaption. Da wir unser Interview mit den beiden Anime-Künstlern nicht vollständig im Heft abbilden konnten, präsentieren wir euch hier nun zum heutigen Release von DVD- und BD-Volume 2 bei KAZÉ Anime die komplette Version – viel Spaß beim Lesen!

Hallo meine Herren. Würden Sie sich den AnimaniA-Leser:innen zunächst kurz vorstellen?
Shuhei Yabuta (SY):
Hallo, ich bin Shuhei Yabuta, der Regisseur von Vinland Saga. Ich freue mich, solch eine Gelegenheit zu bekommen. Meine Karriere begann in einem kleinen 3DCG-Studio als Animator. Schon damals arbeitete ich an einigen Animes im 3DCG-Bereich, habe aber auch an Motion Designs in Games oder an Projekten in der Werbung mitgewirkt. Beim nächsten Studio sammelte ich Erfahrungen im Bereich Compositing, und die Aufträge als 3DCG-Animator für Animes nahmen zu. Durch meinen Wechsel zur Anime-Produktionsfirma DR Tokyo, das heutige MADBOX, konnte ich zum ersten Mal mit Direktvertrag an Projekten mitwirken. Bei MADBOX, das aus der CG-Abteilung von MADHOUSE hervorging, bekam ich auch die Chance, großartigen Künstlern wie Masao Maruyama, Rintaro, Yoshiaki Kawajiri, Hiroshi Hamasaki und Morio Asaka bei der Arbeit zuzuschauen. Zudem wurde ich von talentierten Künstlern in meinem Alter angespornt, wie Tetsuro Araki, Atsuko Ishizuka, Yuzuru Tachikawa oder Yo Moriyama. Auch Abiru-san habe ich in dieser Zeit kennengelernt …
Takahiko Abiru (TA): Hallo, mein Name ist Takahiko Abiru, ich bin Animator und meine Stärken sind real wirkende Werke. Ich mochte das Zeichnen, seit ich ein kleines Kind war. Ich habe auch Unterricht in Malerei genommen und an einer Kunst-Uni Zeichnen studiert. Da ich einen Beruf ausüben wollte, bei dem ich viel zeichnen kann, fand ich mich irgendwann in der Anime-Branche wieder und habe als Animator für viele Werke unendlich viel gezeichnet. Es gibt Künstler, die mich zum jeweiligen Zeitpunkt beeinflussen, aber die Person, die mich derzeit am meisten inspiriert, ist Shuhei Yabuta, der Regisseur von Vinland Saga.
SY: Nach unserer gemeinsamen Zeit, in der wir aufgrund unserer verschiedenen Aufgabenbereiche zwar nicht direkt zusammengearbeitet, aber uns oft unterhalten hatten, trennten sich unsere Wege zunächst. Aber es gab viele Dinge in Abiru-sans Denkweise als Künstler, die ich ähnlich sah, weshalb ich bei der Suche nach einem Charakterdesigner für Vinland Saga als Erstes ihn kontaktiert habe.
TA: Yabuta-sans Anruf kam etwa im Sommer 2016. Ich fragte mich natürlich sofort, was er wohl wollte, da wir uns nach unserer gemeinsamen Arbeit bei MADHOUSE nicht mehr so oft gesehen und lange nicht mehr miteinander telefoniert hatten. Und siehe da: Es war ein Angebot für eine Charakterdesign-Arbeit!

Wie war es für Sie, mit der Anime-Adaption eines so populären Mangas betraut zu werden?
TA:
Ich habe mich gefreut, als ich den Anruf von Yabuta-san erhielt. Natürlich empfand ich großen Druck, denn es handelte sich bei Vinland Saga um einen Manga von Yukimura-sensei, der auch das Originalwerk zu meinem Lieblings-Anime Planetes geschaffen hatte! Aber es war das erste Mal, dass ich das Charakterdesign und den Posten des Chief Animation Directors übernehmen würde, und statt der Unsicherheit waren wohl positive Gefühle wie hohe Erwartung und Hoffnung stärker.
SY: Da Vinland Saga nicht nur in Japan, sondern auch im Ausland sehr beliebt war und ist, verspürte ich ebenfalls einen großen Druck. Aber auch bei mir überwog die Freude, dass ich die Anime-Regie für einen Manga, den ich so sehr mag, übernehmen durfte! Außerdem war ich nicht nur ein Fan von Yukimura-senseis Zeichenstil, sondern auch von seiner Art des Storytellings. Ich wollte ungern die Chance, dieses reizende Storytelling in einen Anime umzusetzen, einem anderen Künstler überlassen.

Herr Yabuta, welche Aufgaben fallen bei Vinland Saga Ihnen als Regisseur zu?
SY:
Ich bin in alle Stufen der kreativen Arbeit involviert. Nachdem das Script fertig ist, stehen für mich das Checken der Storyboards und Layouts an sowie das Planning und die Regie des Editing und Sounds. Beim Layout-Check lege ich am meisten Wert auf die Gesichtsausdrücke. Bei Vinland Saga ist das Charakterdesign sehr detailliert, daher ist auch der Aufbau der Mimik vielfältig. Darauf achte ich sehr, da man die Emotionen nicht gut inszenieren kann, wenn man die Gesichtsausdrücke nicht unter Kontrolle hat. Auch der Kontrolle der Hintergrundzeichnungen widme ich viel Zeit. Das Storyboard und Editing sind wichtig, um das Tempo des Storytellings zu kontrollieren, und der Sound, um in der Geschichte die Akzente darzustellen. Wenn es wirklich stressig ist, verbringe ich in einer Woche drei Tage in einem externen Studio, zwei davon für das Editing und einen Tag für die Synchro und Sounds. Einen weiteren Tag nutze ich, um zu überlegen, welche Tracks ich wo einsetze, weil ich diesen musikalischen Teil auch selbst entscheide. An den übrigen drei Tagen überprüfe ich die Storyboards und Layouts der jeweiligen Episoden.
TA: Yabuta-san ist wirklich mit Leib und Seele bei der Arbeit und fast jeden Tag 24 Stunden im Studio. Wenn er total erschöpft ist und schläft, versuche ich, leise zu arbeiten, und manchmal wecke ich ihn ganz freundlich vor Meetings.

Wie können wir uns die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden genau vorstellen?
SY:
Ich habe Abiru-san erst mal darum gebeten, die Charaktere nach seinem Image zu zeichnen. Auf dieser Basis haben wir uns beim Check ausgetauscht und die Details festgelegt und angepasst. Es ist nahezu unmöglich, die detailreichen Bilder von Yukimura-sensei originalgetreu in einen Anime umzusetzen. Daher muss man eine Darstellungsform finden, die für den Anime zufriedenstellend ist. Abiru-san hat sich wirklich viel Mühe gegeben, um Details in die Designs einzubauen und sie in den tatsächlichen Anime-Szenen auch gut zu kontrollieren.
TA: Wir arbeiten in der Tat sehr eng zusammen. Ich frage Yabuta-san jeden Tag, was er im Kopf hat, und lasse es in meine Arbeit einfließen. Ich möchte stets wissen, was er denkt, ob er zum Beispiel neue Ideen hat oder sich sorgt, weil etwas nicht gut vorangeht.

Und wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Screenwriter Hiroshi Seko aus, Herr Yabuta?
SY:
Mit Seko-san hatte ich etwa ein bis zwei Mal pro Monat Meetings, bei denen wir uns über den Episodenaufbau und die Darstellung der Charaktereigenschaften im Anime ausgetauscht haben. Ich habe von ihm viele Ideen für die Anime-Adaption des Werks bekommen und viele davon für den Aufbau übernommen. Das erste Manga-Kapitel zeigt auf dynamische und faszinierende Art die Welt und zieht den Leser total in den Bann. Bei der Umsetzung in den Anime haben wir aufs Neue den Teil „Thorfinns Geschichte“ stark wahrgenommen und uns entschlossen, den Aufbau zu ändern. Die zusätzlichen Szenen und Episoden, die man nur im Anime sieht, sind nicht nur dafür da, die ursprünglich nicht dargestellten Ereignisse zu zeigen, sondern erfüllen die Funktion, die Charaktere noch tiefer darzustellen. Dabei fühlte ich mich selbst als ein Zuschauer, der gespannt ist auf neue Ideen in der Umsetzung vom Manga in einen Anime, und wollte meine eigenen Ideen und Vorstellungen von Szenen, die ich mir als Vinland-Saga-Fan selbst überlegt hatte, mit anderen Fans teilen.

Müssen Sie solche Änderungen zunächst mit Makoto Yukimura oder Kodansha abklären oder genießen Sie da völlige kreative Freiheit?
SY:
Bei der Anime-Produktion lassen wir alle Ideen und Entscheidungen von Yukimura-sensei und Kodansha approven. Ich bin sehr dankbar, dass sie jedes Mal unsere Vorschläge positiv aufgenommen haben.
TA: Ich hatte auch die Gelegenheit, Yukimura-sensei einige Male persönlich zu treffen und direkt Fragen zu stellen. Allerdings habe ich nicht einmal einen Änderungswunsch von Yukimura-sensei erhalten. Die einzige Bitte von Yukimura-san war die, dass Knut in Staffel 1 hübscher gezeichnet werden sollte als im Manga. Aber was den Rest angeht, sagte er immerzu: „Die Anime-Version gehört dem Anime-Staff.“ Dadurch hatte ich beim Charakterdesign viel Freiheit, wofür ich sehr dankbar war.
SY: Yukimura-sensei sagte sogar, dass wir noch freier arbeiten und noch mehr Änderungen vornehmen könnten. Der Originalautor wünscht sich mit der Anime-Adaption ein „neues“ Vinland Saga, sogar noch mehr, als wir vom Anime-Produktionsteam es tun! Dabei ist er eigentlich derjenige, der das Recht hat, sein Werk, die Vorlage, zu „schützen“ und darauf zu bestehen, dass alles originalgetreu bleibt. Daher bin ich unendlich dankbar für seine Einstellung, dass er sich auf unsere Ideen freut.

Herr Takeda, nachdem Sie ja bereits eine ganze Reihe von Vinland Saga-Figuren für den Anime adaptiert haben: Können Sie uns zwei, drei Besonderheiten nenne, die Ihrer Meinung nach Yukimura-sans Charakterdesigns auszeichnen und ihnen womöglich sogar einen „unverwechselbaren“ Touch verleihen?
TA:
Ich denke, das Besondere, was seine Charakterdesigns von anderen Werken unterscheidet, ist die „Schwere“, die man als Leser von den Charakteren und allen möglichen Dingen, die im Manga vorkommen, empfindet. Diese „Schwere“ verleiht einem das Gefühl, dass die Dinge, die in der geschaffenen Welt vorkommen, „echt“ sind. In den Designs sind überwältigende Mengen an Informationen enthalten, sodass man eine luxuriöse Leseerfahrung erleben kann.

Und welche der vielen Figuren aus Vinland Saga zeichnen Sie besonders gerne?
TA:
Askeladd! Weil ich ihn von allen Charakteren am häufigsten zeichne und mich am meisten in ihn hineinversetzen konnte. Ich glaube, dass ich ihn sogar häufiger gezeichnet habe als den Hauptcharakter Thorfinn.

Was sind grundsätzlich die größten Herausforderungen vom Manga- ins Anime-Format?
TA:
Werke mit einer großen Informationsmenge wie Vagabond und Berserk bringen bei einer Anime-Umsetzung die Schwierigkeit mit, dass die Bilder nicht so einfach zu bewegen sind. Es ist nahezu unmöglich, viele Charaktere mit zahlreichen Strichen zu zeichnen, weil es zu viel Zeit in Anspruch nimmt, um sowohl die Kampfszenen als auch alltägliche Szenen zu zeichnen. Trotzdem wollte ich mich bei Vinland Saga dieser Herausforderung stellen, weil ich dachte, dass den Fans des Originalwerks dieser Faktor am wichtigsten wäre. Es war somit ein Projekt einer Art, welches ich noch nie erlebt hatte, und deshalb wusste ich nicht, inwiefern ich die Arbeit bewältigen konnte. Aber ich habe mich der Herausforderung gestellt, während ich mir eingeredet habe, dass ich vor nichts Angst haben muss, wenn ich genug Mut fassen könnte.
SY: Da ich Yukimura-sans Storytelling sehr reizvoll finde, möchte ich dieses eindrucksvoll in den Rhythmus der Animation einbauen. Anime-Serien haben recht kurze Episoden und wenn man da zu viel hineinstopft, können dem Zuschauer wunderbare Dialoge oder Szenen nicht effektiv vermittelt werden. Dies fällt mir oft auf, wenn ich Animes schaue. Daher habe ich seit Staffel 1 um eine längere Episodendauer verhandelt. Für Staffel 2 habe ich eine weitere Minute bekommen und zugleich darauf geachtet, dass die Menge der Drehbücher pro Episode in einem gewissen Rahmen bleibt. Auf dieser Basis habe ich die Inhalte der einzelnen Folgen ausgebaut und geschaut, wie man sie jeweils eindrucksvoll beenden kann. Daher war es eine große Herausforderung, mir die Komposition der gesamten Serie zu überlegen.

Haben Sie für die Anime-Adaption ausschließlich den Manga als Vorlage genommen?
SY:
Generell ja, jedoch schlug Yukimura-sensei auch vor, bestimmte Dinge im Anime abzuändern, die er in der Manga-Version nicht ausreichend darstellen konnte. Da die Story zudem in einem anderen Kulturraum als Japan spielt, habe ich viele Quellen gesammelt, um die nordischen Kulturen und Wikinger darstellen zu können. Hierzu tausche ich mich auch mit Yukimura-sensei und Professor Minoru Ozawa der Rikkyo Universität aus. Weiterhin enthält dieser Titel zahlreiche dramatische Storywendungen und sehr individuelle Charaktere, sodass die Balance mit dem Entertainment-Faktor auch stimmen muss, was ich bei der finalen Entscheidung entsprechend berücksichtige. Ich würde mich freuen, wenn die Zuschauer aus den Regionen, in denen die Traditionen der Wikinger verwurzelt sind, beim Anschauen des Animes möglichst wenig Unbehagen fühlten!
TA: Auch ich habe in erster Linie den Manga als Vorlage genommen, weil es am wichtigsten war, dass die Fans des Originalwerks kein komisches Gefühl beim Anime bekommen. Natürlich habe ich zudem viele Referenzmaterialien zu Rate gezogen, so habe ich mir die ausländische Serie Vikings mehrmals angeschaut. Da es sich um ein Filmmedium handelt, konnte ich mir ein noch realeres Bild von der Welt der Wikinger machen, was mir sehr geholfen hat.

Herr Yabuta, bevor Sie 2017 mit Inuyashiki Last Hero Ihr Regiedebüt gaben, haben Sie vor allem als 3D Director gearbeitet und sind auch weiterhin in dieser Funktion tätig, unter anderem an großen Anime-Produktionen wie Attack on Titan. Können Sie uns die Aufgaben eines 3D Directors beschreiben, also kurz umreißen, was genau diese Tätigkeit alles umfasst?
SY:
Die Arbeit des 3D Directors besteht zunächst einmal darin, beim Regisseur nachzufragen und abzuchecken, für welche Elemente er sich 3DCG wünscht. Danach wird ein konkreter Plan zusammengestellt, bei dem natürlich Budget und Zeitplan gleichermaßen beachtet werden. Es gibt wenige Leute in der Anime-Branche, die viel Fachwissen über 3DCG besitzen, daher ist die Übermittlerrolle zwischen dem Inszenierungsteam und den 3DCG-Künstlern auch sehr wichtig. Früher wurde 3DCG oft ausschließlich dafür eingesetzt, um die Last beim Zeichnen zu verringern. Durch die tiefe Involvierung in die Inszenierung konnte ich nach und nach Vorschläge zum effektiven Einsatz von 3DCG einbringen. Ich hatte zwar von Anfang an viel Interesse an Inszenierung, aber durch diese Erfahrungen wurde mein Wunsch, stärker beim Inszenieren involviert zu sein, noch größer. Schließlich gaben mir der Produzent Kentaro Hashimoto und der Regisseur Yuji Kumazawa, mit denen ich damals an Projekten zusammenarbeitete, die Gelegenheit, einmal das Storyboard und die Inszenierung übernehmen zu dürfen. Damals habe ich für den Titel nicht nur das Storyboard gezeichnet, sondern war gleichzeitig auch als 3D Director tätig. Daher war es ziemlich stressig, aber ohne diese Chance wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich hatte wirklich Glück.

Würden Sie sagen, dass Ihre langjährige Arbeit als 3D Director einen gewissen Einfluss darauf hat, wie Sie als leitender Regisseur an die Umsetzung eines Animes herangehen?
SY:
3DCG ist eine andere Technik als das Zeichnen, daher macht es nicht viel Sinn, wenn ich bei der Inszenierung nur die gleiche Darstellungsweise wie beim Zeichnen einsetze. Allerdings muss dabei auch darauf geachtet werden, dass die Zusammenwirkung mit der herkömmlichen Anime-typischen Darstellungsweise kontrolliert wird. Ich denke, dass meine 3DCG-Erfahrungen zu der Einstellung führen, ein neues Filmerlebnis in Anime einbauen zu wollen. Weiterhin ist der Zeitplan bei Anime-Produktionen ja immer knapp, das heißt die Zeit reicht nicht aus, wenn man die Sache mit aufwendigen Kompositionen angeht. Meine Erfahrungen von der Anime-Produktion im Bereich Compositing haben mir hier geholfen, mir Wege auszudenken, um komplizierte Verarbeitungen der Inszenierung in den herkömmlichen Anime-Workflow effektiv einzubauen. Allerdings habe ich selbst bemerkt, dass ich als 3DCG-Künstler und als Regisseur verschiedene Denkweisen besitze. Als 3DCG-Künstler war die höchste Priorität, dynamische und innovative Werke zu schaffen, und ich war davon überzeugt, dass das direkt zum Charme des Werks wird. Aber als inszenierender Regisseur strebe ich ein gutes Storytelling an, und was das Schaffen des Visuellen angeht, bin ich nicht mehr so empfindlich wie zu meinen Zeiten als 3DCG-Künstler. Natürlich ist die visuelle Kraft bei Anime-Werken wichtig. Aber wenn das Storytelling vernachlässigt wird, dann sind selbst die schönsten Bilder und Hintergründe, die emotionsvollen Dialoge der Synchronsprecher oder die wunderbare Musik umsonst. Damit die Arbeiten der verschiedenen Künstler, die an dem Projekt involviert sind, nicht vergebens waren, muss der Regisseur eine große Verantwortung auf sich nehmen.

Wie genau werden die 3DCG-Animationen von Vinland Saga produziert?
SY:
Hierfür habe ich die Animationen herkömmlicher Animes als Referenz genommen, da ich ihren speziellen Reiz in 3DCG darstellen wollte. Ein großer Vorteil von 3DCG liegt in der Kameraführung, mit der man eindrucksvoll und dynamisch Action und Hintergründe zeigen kann. Wenn die Animatoren des Zeichenteams die Animationen im Voraus entwerfen, kommt es aber vor, dass eine 3-D-Kameraführung nicht funktioniert, da es hier wichtig ist, neben dem abzubildenden Objekt auch die Räumlichkeit wirksam darzustellen. Bei Szenen, die im Voraus von Zeichnern entworfen werden, kommt die Räumlichkeit der Hintergründe im Vergleich zu den Objekten etwas zu kurz. Also habe ich für Szenen mit 3-D-Kameraführung die Animationen der Figuren mit eingeplant und einen dazu passenden Workflow eingeführt. Da bereits Tetsuro Araki viele meiner Ideen übernommen hatte, konnte ich während meiner Arbeit an Attack on Titan, Kabaneri of the Iron Fortress und anderen Titeln viel Knowhow sammeln. Bei Projekten, bei denen ich selbst Regie führe, habe ich beim Planning noch mehr Freiheit und kann Action-Darstellungen noch mehr nach meinem Ideal realisieren. Weiterhin ist beim Zusammenspiel von herkömmlichen Anime-Darstellungen und 3DCG auch die Kontrolle der Informationsmenge der Details wichtig. Dabei meine ich nicht nur die Details des Aussehens, sondern auch die Informationsmenge in der Animation. Ich denke, dass auch dabei meine Erfahrungen als 3DCG-Regisseur nützlich waren.

Ein weiterer Aspekt, der uns bei Vinland Saga sehr gefallen hat, ist das atmosphärische Zusammenspiel von Animationen, Musik und Soundeffekten, das beispielsweise in den Szenen auf Island ein eindrückliches Stimmungsbild des eisigen Klimas und der rauen Lebensumstände entwirft. Können Sie uns beschreiben, wie diese klanglichen Elemente konkret entwickelt und auf die jeweiligen Szenen abgestimmt werden? Und wie sieht dabei Ihre Zusammenarbeit mit dem Sounddesign-Team aus?
SY:
Die Musik von Yutaka Yamada stellt die Charaktere und Szenerien wirklich emotionsreich dar. Der Soundtrack allein kann alles von dem Werk wiedergeben, so fein und reich an Informationen ist die Musik. Das Storyboard und das Editing schaffen ein Rhythmus in den Episoden, um die wichtigen Stellen zu bestimmen. Die Musik fügt dem einen „Standpunkt“ hinzu, mit dem man diesen Rhythmus fühlen kann. Es ist schwierig, mit Gewissheit einzuschätzen, welche Bedeutung die Phänomene rund um die Charaktere haben, aber die Musik hilft, einen Standpunkt bei dieser Beurteilung zu finden. Für mich ist das die Funktion von Musik bei der Inszenierung und das ist auch der Grund, wieso Musik beim Ausdenken des Storytellings für mich ein äußerst wichtiges Element ist. Es handelt sich zwar um Animation, aber letztendlich handelt es sich um ein Filmmedium, das heißt, erst das wirksame Zusammenspiel von Bildern und Sounds mit dem richtigem Timing und Gleichgewicht ergibt letzten Endes ein zufriedenstellendes Ergebnis. Ich überlege zwar komplett selbst, wann welche Musik einzusetzen ist, aber dafür nutze ich nicht nur fertig gemixte Musik, sondern auch Stem-Dateien (Anm. d. Red.: aus mehreren Einzelspuren gemischte, mehrkanalige Audiodateien). Ich stelle mir jeweils die Stellen vor, in der ich in einer Episode Musik nutzen will und liste die Tracks auf, die ich einsetzen werde. Ich setze Musik passend zur Szene und zu den Handlungen der Charaktere sowie auch zu der Veränderung von Emotionen ein und entwerfe den Sound mit Pro Tools. Diese Daten nehme ich beim Dubbing mit ins Studio, weswegen das finale Ergebnis oftmals meinen Vorstellungen entspricht. Beim Dubbing achte ich darauf, dass die Musik auch im guten Gleichgewicht steht zu den Soundeffekten und Dialogen, sodass alles am Ende eine Audiospur ergibt, in der verschiedene Audioelemente miteinander harmonieren.

Gerade bei einer TV-Serien-Produktion wie Vinland Saga ist die Arbeit aufgrund der wöchentlichen Deadlines sicherlich sehr zeitaufwändig und kräftezehrend. Haben Sie bestimmte Hobbys oder Freizeitbeschäftigung, die Ihnen dabei helfen, sich von den Strapazen der Arbeit zu erholen?
SY:
In Zeiten, in denen ich beschäftigt bin, brauche ich keine Abwechslung, sondern bleibe eher fast die ganze Zeit im Studio. Aber die Zeit, in der ich mich mit Anime- und Vinland Saga-Fans auf sozialen Netzwerken austausche, genieße ich sehr. Ich möchte nicht nur gute Werke schaffen, sondern auch für die Fans, die uns unterstützen, möglichst nützliche Infos posten. Ich würde mich freuen, wenn das zur Belebung der Community und Freude der Fans beitragen würde. Ich lerne auch sehr viel von der ausländischen Anime-Community, denn ich habe gemerkt, dass die ausländischen Fans oft andere Sichtweisen oder Meinungen haben als die japanischen Fans und sehr lebendige Diskussionen führen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass viele ausländische Fans sich nicht nur für die Werke, sondern auch für die Künstler, die dahinterstehen, interessieren, was mich als Künstler anspornt. Für mich ist es das höchste Glück, wenn ich auch künftig solch einen Austausch genießen und dabei an Projekten arbeiten kann.
TA: Wenn es stressig ist wegen Deadlines, versuche ich möglichst keine Abwechslung zu suchen, um mich nicht abzulenken. Anime-Produktionen, die sich über eine lange Zeit strecken, sind für mich wie ein langer Marathon. Man muss jeden Tag gelassen bleiben und darf auch bei Problemen nicht in Aufruhr geraten. Ich achte darauf, dass die Aufgaben, die auf der Stelle bewältigt werden müssen, mit Sicherheit erledigt werden. Ich zeichnete jeden Tag mit Vorfreude, weil ich mir vorgenommen hatte, nach Fertigstellen der letzten Episode (Folge 24 von Staffel 1) eine Auslandsreise zu machen.

Wenn Sie in die Vinland Saga-Welt reisen könnten, welche Dinge der modernen Gesellschaft würden Sie am meisten vermissen?
SY:
Die moderne Gesellschaft ist bequem und effizient, aber nicht unbedingt immer reizvoll. Das Zeitalter der Wikinger war zwar unbarmherzig, aber wenn man es vergleicht mit den komplexen Organisationen und der riesigen Informationsflut von heute, muss man damals bei den täglichen Aktivitäten ein stärkeres Gefühl der Eigenständigkeit verspürt haben. Natürlich basiert diese Meinung bloß auf den Werten der Menschen, die in der modernen Gesellschaft leben. Wenn ich die Chance hätte, in diese Epoche zu reisen, dann würde ich gerne das Tempo des Alltagslebens und die Distanz zwischen Menschen in dieser Ära spüren. Ich denke, ich würde nichts vermissen, außer meine Familie und Freunde.
TA: Ich könnte wohl die Maske vermissen, die wir seit über zwei Jahren jeden Tag tragen. In der Wikingerzeit gab es sicherlich auch viele schädliche Viren in der Luft, daher möchte ich als Japaner unbedingt eine Maske tragen!

Und welche gesellschaftliche Rolle würden Sie in diesem Zeitalter gerne übernehmen?
SY:
Seefahrer und Bauer finde ich spannend. Aber ich würde gerne Dinge bauen, die im alltäglichen Leben nützlich sind, etwa Ausrüstungen, die ein Dorf schützen. Daher finde ich die Berufe Schmied, Zimmermann und Schiffsbauer am attraktivsten. Und dann bleibt nur noch zu hoffen, dass sich meine Wege nicht mit denen von Thorkells Gruppe kreuzen! (lacht)

Die zweite Season von Vinland Saga ist bereits seit einiger Zeit angekündigt, allerdings wurde noch kein genauer Starttermin genannt. Können Sie unseren Leser:innen trotzdem schon mal einen kleinen Ausblick geben, was sie darin erwartet?
TA:
Es ist schon etwas Zeit vergangen seit der Ankündigung der Produktion von Staffel 2, die wir am 7. Juli 2021 gemacht haben. Es tut mir leid, dass die Fans, die schon sehnsüchtig darauf warten, warten müssen. Momentan arbeiten wir an Staffel 2 mit fast demselben Team wie bei Staffel 1. Wir geben jeden Tag unser Bestes, um eine noch bessere Qualität anzustreben, wobei jeder seine Erfahrungen, die er bei der Produktion von Staffel 1 sammeln konnte, einsetzt. Wir müssen euch noch eine Weile warten lassen, aber ich würde mich freuen, wenn ihr euch Vinland Saga anschauen würdet. Vielen Dank.
SY: Dieses Mal gibt es keine großen Änderungen verglichen zur Manga-Vorlage, aber wie auch bei Staffel 1 gibt es einige Elemente, die nur im Anime vorkommen. Die Darstellung einiger Szenen oder des äußerlichen Verhaltens von Figuren wurden abgeändert und einige Szenen wurden hinzugefügt. Aber diese Änderungen haben keinen Einfluss auf den Kern des Charakters der Figuren oder die Essenz der Story, sondern sollen vielmehr die Emotionen der Charaktere noch besser aufzeigen oder die Zusammenhänge dieser betonen. Genauso wie alle Vinland Saga-Fans der ganzen Welt möchte ich den Manga weiterhin schätzen, und gleichzeitig aber auch alles geben, um im positiven Sinne ein neues Vinland Saga-Erlebnis liefern zu können. Ich würde mich freuen, wenn ihr uns weiterhin unterstützt. Vielen Dank.

Herr Yabuta, Herr Abiru, noch einmal vielen herzlichen Dank und alles Gute.

©Makoto Yukimura,KODANSHA/VINLAND SAGA Project