Am 26. Oktober ist das romantisch-historische Drama München 1945 von der deutschen Comiczeichnerin und Illustratorin Sabrina Schmatz bei Carlsen Manga als überarbeitete Gesamtausgabe in zwei Hardcover-Bänden gestartet (Band 2: 3. Mai 2022). Wir durften der Autorin ein paar Fragen zu ihrer Neuauflage des ursprünglich im Verlag Schwarzer Turm erschienenen Werkes bei Carlsen Manga stellen. Hier erfahrt ihr unter anderem, wie sie für ihr Werk recherchiert hat, was ihren Zeichenstil besonders macht und wie ihre Pläne für die Zukunft aussehen. Unsere Rezension zu München 1945 lest ihr in der AnimaniA 6/2021.
Hallo Sabrina, würdest du dich den Leser:innen, die dich noch nicht kennen, zunächst kurz vorstellen und erzählen, wie du zum Zeichnen gekommen bist?
Sabrina Schmatz (Sabrina): Servus miteinander! Einige kennen mich vielleicht aus dem Internet als Iruka oder Kaze. Wobei sich seit einigen Jahren mein Spitzname Sabu durchgesetzt hat. Ich bin 37 Jahre alt und lebe und arbeite bei München. Wie bei vielen anderen hat meine Leidenschaft fürs Zeichnen schon im Kindesalter begonnen. Damals hatten es mir die Disney-Filme besonders angetan und ich habe versucht, so viel wie möglich abzupausen. Anfang der 1990er kam ich dann mit dem Anime Sailor Moon in Berührung und von da an war es auch zeichnerisch um mich geschehen. Durch den Kauf von Artbooks kam ich mit immer mehr Zeichenutensilien in Berührung und probierte vieles aus – damals noch mit dem unerschütterlichen Ego, das glaubte, dass Copic- und Aquarellbilder so doch sicher leicht zu lernen seien. Na ja, man wird eines Besseren belehrt! Parallel zum Zeichnen schrieb ich auch viele Fanfictions. Dabei wurde mir klar, dass ich auch gerne eigene Geschichten in Bilder umsetzen wollte. Der Verbrauch von A4-Druckerpapier stieg rapide an!
Wie ist die Idee zu München 1945 entstanden?
Sabrina: So gegen 2011 war ich viel mit Webcomics beschäftigt. Ich versuchte immer noch, meine ursprüngliche Idee für eine Story, die ich zu jener Zeit fleißig auf Animexx veröffentlicht habe, When Worlds Collide, auf Papierform zu bringen. Jedoch merkte ich nach ein paar Kapiteln, dass irgendwie noch der rote Faden fehlt. Ich wollte so viele Genres – Horror, Crime, Slice of Life – vereinen, dass sich immer mehr Plotholes auftaten. Um etwas Abstand zu gewinnen, beschloss ich, mich mit einer anderen Story abzulenken. Ich wollte mich schon immer mal an eine Romance-Geschichte wagen. Etwas, das – zumindest für mich – nicht ganz so kompliziert sein sollte – was nicht heißen soll, dass Romance-Storys grundsätzlich unkomplizierter sind! Das Klischee, das Mädchen ja nur gern Romance zeichnen, hatte mich bis dahin von diesem Vorhaben abgehalten. Letztendlich war mir das aber doch egal und ich begann zu überlegen, was für ein Setting und was für eine Story ich denn aufbauen könnte. Vielleicht ein Schauplatz in der viktorianischen Zeit? Oder ein Downton Abbey-Abklatsch? Tatsächlich kamen einige Skizzen zusammen, aber irgendwie sprang der Funke noch nicht über …
Warum hast du für München 1945 die Nachkriegszeit als Setting gewählt?
Sabrina: Die finale Inspiration zum Setting kam von der Serie Band of Brothers. Darin begleitet man amerikanische Soldaten im zweiten Weltkrieg vom D-Day bis zum Einmarsch in München. Eine Folge gab dann den endgültigen Anstoß. Es gab da eine Szene zwischen einem amerikanischen Soldaten und einer französischen Krankenschwester. Und da dachte ich mir: „Ey … warum nicht eine Liebesgeschichte zwischen einem Soldaten und einer Krankenschwester nach der Befreiung von München im zweiten Weltkrieg.“ Das Setting war also meine Heimatstadt München und die Ideen begannen nur so zu sprudeln. Denn neben der Liebesgeschichte konnte ich so historische Fakten einbauen, um vielleicht auch Leser:innen dafür zu gewinnen, die mit Romance nicht so viel anfangen können.
Wie hast du dich über diese Zeit informiert? Welche Recherchen hast du vorgenommen – zum Beispiel zu dem Flugblatt, das anfangs zu sehen ist? Gibt es Zeitzeugen, die du befragt hast?
Sabrina: Mein liebstes Recherchematerial waren diverse Bücher und Bildbände über den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit. Es gibt einige gute Bildbände über die Nachkriegszeit in München wie Rama dama! München nach 1945 und Ruinenjahre: Bilder aus dem zerstörten München 1945–1949. Letzterer inspirierte mich zu dem Anfang mit den Flugblättern! Ich habe sehr gerne Erzählungen oder Biografien gelesen. Hier waren meine Favoriten Medic! von Robert Franklin, Der Befreier von Alex Kershaw und Meine Münchner Kindheit von Franz Freisleder. Leider gab es keine Zeitzeugen in meinem näheren Umfeld, die ich persönlich befragen konnte. Aber die Bücher waren wie eine Reise in die Vergangenheit! Zudem habe ich natürlich einen Haufen Dokus im TV und auf DVD angesehen.
Die Geschichte spielt in München – der Stadt, in der du lebst. Was liebst du an München am meisten?
Sabrina: Ich wohne etwas außerhalb von München, aber man ist relativ fix in der Innenstadt! Und das ist genau das, was ich liebe. Man hat die Shoppingmeile zwischen Karlsplatz und Marienplatz, kann anschließend vom Odeonsplatz weiter Richtung Münchner Freiheit gehen, um diverse Cafés zu besuchen. Wenn man mehr Natur sehen will, biegt man dort zum Englischen Garten ab und setzt sich auf eine Bank. Zu Fuß kann man so viel erkunden, weil München zwar groß ist, aber viele schöne Ecken einfach nah beieinanderliegen.
Was unterscheidet die Ausgabe, die jetzt bei Carlsen Manga erscheint, von den bisherigen Ausgaben?
Sabrina: Wir haben hier sowohl mit „Zuckerl“ als auch mit Farbillus nicht gespart. Ebenso bin ich die kompletten Bände nochmals durchgegangen und habe bei den einzelnen Seiten etwas Feintuning betrieben, manche Gesichter ausgebessert und zu dunkle Raster aufgehellt. Des Weiteren wird es Skizzen aus der Entstehung von München 1945 geben. Zum Zeitpunkt dieses Interviews stehen abschließende Extras noch nicht fest. Aber was ich sagen kann: Die Hardcover-Ausgabe ist noch mal ein Sahnehäubchen oben drauf!
Wie kreierst du deine Figuren und lässt du dich auch von realen Personen inspirieren?
Sabrina: Tatsächlich lasse ich mich erst sehr unbewusst von realen Personen inspirieren. Man hat eine große Vorstellung davon, wie Figuren auszusehen haben. Ich probiere viel rum und während des Zeichnens kommen immer mehr Feinheiten und Erkennungsmerkmale hinzu. Irgendwann laufen einem dann reale Personen über den Weg, bei denen man denkt: „Mensch, der oder die sieht doch aus wie mein Charakter!“ Meist halte ich dann an dem auserwählten Facemodel fest und versuche, diverse Gesichtsfeinheiten zu übernehmen. Daniel zum Beispiel ist an Colin Farrell in der Rolle von Thomas Hart in Das Tribunal angelehnt. Konstanze hat Chloë Grace Moretz als Vorbild und bei Ryan ist es Hugh Jackman.
Dein Zeichenstil unterscheidet sich stark vom typischen Manga-Look. Hast du eine zeichnerische Ausbildung genossen und wie würdest du selbst deinen Stil beschreiben?
Sabrina: Mein Stil hat sich irgendwann im Laufe der Jahre zu einem Hybriden entwickelt. Manchmal kann ich ihn selbst schlecht einordnen! Bei meinen gezeichneten Mädels bemerkt man doch sehr den Manga-Einfluss. Jedoch habe ich immer wieder von westlichen Comicleser:innen zu hören bekommen: „Das sieht so nach Manga aus.“ Oder eben von Manga-Fans: „Das sieht zu sehr nach Comic aus.“ Verübeln kann ich es keinem von beiden! Das Zeichnen habe ich mir selbst beigebracht und zunächst viele Manga-kas als Vorbilder gehabt. Ganz oben waren Sailor Moon-Manga-ka Naoko Takeuchi und der Neon Genesis Evangelion-Charakterdesigner und -Manga-ka Yoshiyuki Sadamoto. Eine große Wendung gab es dann aber mit Slam Dunk-Künstler Takehiko Inoue: Ich war so fasziniert von diesem locker-leichten, realen Stil und wollte unbedingt genauso zeichnen! Während dieser Stilfindungsphase begann ich auch immer mehr westliche Comics zu lesen und entdeckte auch hier viele Vorbilder, darunter Sean Gordon Murphy. Mein Wunsch, semi-real zu zeichnen, aber dennoch die Seiten in eher Manga-typischen Graustufen zu halten, sorgten wohl für diesen Hybrid-Stil. Genau diese Farblosigkeit verwirrt zum Beispiel viele westliche Comic-Leser:innen! (lacht)
Wie gehst du ans Zeichnen eines Kapitels beziehungsweise einer Seite heran?
Sabrina: Zunächst überlege ich mir die grobe Story für ein Kapitel. In Kapitel 1 war klar: „Okay, Daniel trifft auf Konstanze und bietet ihr Schokolade an.“ Um diesen Punkt versuche ich dann, einen Erzählstrang zu bilden. Ich schreibe zunächst das grobe Skript für das Kapitel und unterteile es in zwei bis drei Szenen inklusive Texte der Charaktere. Ist dies geschehen, geht es ans Layout. Hier bewundere ich immer meine Kolleg:innen, die ein komplettes Kapitel oder sogar einen kompletten Band vorzeichnen. Ich kann das leider nicht! Meist schmeiße ich während des Zeichnens noch einiges um, sodass ich wirklich nur das Layout für maximal vier Seiten mache und diese anschließend richtig zeichne. Skizziert wird dann mit einem Bleistift Stärke H und anschließend „geinkt“ mit einem Druckbleistift 0,7 der Stärke B! Ist dies geschehen, wird die Seite eingescannt und in Photoshop übertragen. Dort füge ich dann sanfte Schatten und Raster ein.
Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß und womit haderst du am meisten?
Sabrina: Tatsächlich ist das Layouten am schönsten! Einfach erstmal wild das Szenen-Kopfkino auf Papier bringen. Der schwierige Teil ist eigentlich die Übertragung auf ein A4-Blatt. Manchmal ist die Layoutskizze so dynamisch! Versuche ich aber, diese 1:1 ins Reine zu zeichnen, scheitere ich oft und brauche sehr viele Versuche, oder muss es leider doch komplett anders malen. Das sind dann so Momente, in denen man die berühmten Selbstzweifel bekommt. Aber: Man lernt unbewusst so viel dazu und wird mit der Zeit immer schneller!
Welche Zeichenmaterialien hast du speziell für München 1945 verwendet?
Sabrina: Ich liebe das Hahnemühle-Nostalgie-Papier. Es ist einfach perfekt. Nicht zu glatt wie etwa Bristol Paper, aber auch nicht zu rau. Das Speziellste, das ich mir wohl extra für den Manga angeschafft habe, waren die Druckbleistifte „Orenz“ von Pentel in diversen Ausführungen. Durch die kleine Hülse vorn brechen die Spitzen nicht ab, da ich doch dazu neige, etwas zu sehr aufzudrücken. Ebenso liebe ich meinen Mono-Zero-Radierer in Stiftform. Damit lassen sich wunderbar Details radieren!
Welches analoge Zeichengerät willst du nicht missen?
Sabrina: Den Bleistift! Ich liebe meine Zeichnungen immer noch am meisten als Skizze.
München 1945 hat nun schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Gibt es ein neues Projekt, an dem du arbeitest oder planst du nach der Veröffentlichung vielleicht, eine neue Geschichte zu zeichnen?
Sabrina: Gerne würde ich – nach etwas zeitlichem Abstand – noch einen Einzelband zu München 1945 zeichnen, weil doch einige Ideen leider zu kurz kamen. Die Dynamik zwischen Ryan und Daniel würde ich zum Beispiel gerne noch mal aufgreifen wollen!
Tatsächlich bastele ich schon an einer neuen Geschichte und bin bereits an den ersten Seiten. Vor einem Jahr hatte ich die Idee, eine erotische Fantasy-Romance-Geschichte zu machen. Die Möglichkeit, viele verschiedene Einflüsse einfach miteinander verschmelzen zu lassen, ohne ständig auf Richtigkeit zu achten, war mal eine schöne Abwechslung. Jedoch werde ich wieder versuchen, viele Elemente einzubauen, um ein schönes Setting zu schaffen! Natürlich habe ich auch ein Story-Baby in der Hinterhand, das mich schon seit fast zwei Jahrzehnten begleitet. Die Charaktere liegen mir sehr am Herzen und ich hoffe, auch diese Geschichte eines Tages erzählen zu können!
Welche Künstler:innen und Werke haben dich und deinen Stil beeinflusst?
Sabrina: Dazu gehören Vagabond von Takehiko Inoue, Ayashi no Ceres von Yuu Watase, Peach Girl von Miwa Ueda und Blacksad von Juan Diaz Canales und Juanjo Guarnido.
Vom alleinigen Manga-Zeichnen lässt sich der Lebensunterhalt hierzulande immer noch nur selten bestreiten. Welche anderen Einkommensquellen hast du beziehungsweise arbeitest du noch hauptberuflich im Rentenversicherungsgewerbe?
Sabrina: Meine größte Einnahmequelle bleibt im Moment noch mein Hauptjob bei der deutschen Rentenversicherung. Ab und an bearbeite ich auch Illustrationsaufträge, aber dafür habe ich eher dann Zeit, wenn ich nicht gerade an einem Comicprojekt arbeite. Ich habe vor meinen Fulltime-Zeichnerkolleg:innen größten Respekt! Ich hätte doch etwas zu viel Angst, meinen Arbeitsalltag als Selbstständige nicht organisieren zu können.
Schaffst du es derzeit noch, Mangas oder Comics anderer Künstler:innen zu lesen oder Animes zu schauen und wenn ja, welche Titel kannst du unseren Leser:innen empfehlen?
Sabrina: Ein wenig Zeit kann ich immer freischaufeln! Leider nicht mehr ganz so viel wie noch vor ein paar Jahren. Zuletzt habe ich mir Mobile Suit Gundam: Hathaway angesehen. Leider kenne ich nicht alle Gundam-Filme, aber Hathaway hat mir von der Animation unheimlich gefallen! In Sachen Manga und Comic hänge ich leider etwas hinterher. Im Moment lese ich die Eternal Edition von Sailor Moon. Empfehlen kann ich die Comics von Mirka Andolfo wie Mercy, Unnatural und ihr neuestes Projekt Sweet Paprika. Ich finde, sie hat auch einen Stil, der westliche und Manga-Elemente in sich vereint. Wann immer es geht, unterstütze ich außerdem meine deutschen Zeichnerkolleg:innen – also schaut doch einfach mal in deren Webshops oder Social-Media-Profilen vorbei!
Derzeit ist eine direkte Interaktion mit den Fans auf Messen und Co. ja leider kaum möglich. Möchtest du zum Start deines Mangas neuen und alten Fans vielleicht noch etwas mitteilen?
Sabrina: Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die mich unterstützen. Ich hätte ehrlich gesagt nie damit gerechnet, dass München 1945 mit diesem Setting so ein Erfolg wird! Mir ist es wichtig, dass Comic- und Manga-Fans sich näherkommen und ich hoffe, mit meinem „Hybriden“ etwas dazu beigetragen zu haben! An alle Zeichner:innen: Macht das, worauf ihr Lust habt. Man wird nie jeden Geschmack treffen können – aber es wird immer ein Publikum geben!
Liebe Sabrina, vielen Dank für das Interview!
Eine Leseprobe zu München 1945 gibt’s auf der Webseite von Carlsen.
© Sabrina Schmatz / Carlsen Verlag, Hamburg 2021