Die AnimagiC 2017, die vom 4. bis 6. August im Mannheimer Rosengarten stattfand, stand ganz im Zeichen der erfolgreichen Cybersaga Ghost in the Shell: Im Rahmen des Animotion-Filmfestivals präsentierten wir nicht nur die jüngste Live-Action-Adaption aus Hollywood, sondern auch die Prequel-OVA Ghost in the Shell – ARISE sowie deren abendfüllendes Finale Ghost in the Shell – The New Movie. Doch damit nicht genug: Vor Ort hatten die Besucher zudem die Gelegenheit, den ARISE-Storyautor Tow Ubukata und -Regisseur Kazuchika Kise persönlich zu ihrer Ghost in the Shell-Anime-Vorgeschichte zu befragen – eine Chance, die auch wir uns natürlich nicht entgehen ließen! Pünktlich zum Release von Ghost in the Shell – The New Movie, der seit dem 22. September bei Universum Anime auf DVD, Blu-ray Disc und als Limited Collector’s Edition erhältlich ist, präsentieren wir euch hier unser Interview mit Kazuchika Kise.
Hallo Herr Kise, und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Bevor wir uns Ihrer Arbeit an Ghost in the Shell widmen: Könnten Sie uns zunächst einen Überblick über Ihren Werdegang in der Anime-Branche geben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie erstmals mit Shirow Masamunes Sci-Fi-Franchise in Berührung kamen?
Kazuchika Kise (KK): Schon als ich Schüler war, wollte ich etwas mit Animationen machen und bin deshalb auf eine Fachschule dafür gegangen. Allerdings war der Unterricht so langweilig, dass ich nach den ersten vier Monaten aufgehört habe. (lacht) Damals habe ich noch in Osaka gewohnt und wusste nicht einmal, ob es in Osaka auch Animationsstudios gibt. Alles schien in Tokio konzentriert zu sein. Dann habe ich aber doch noch eine Stelle in einem Studio in Osaka gefunden und so habe ich angefangen, in der Anime-Branche zu arbeiten. Danach habe ich mir viele verschiedene Werke angeschaut. Etwa in meinem dritten Jahr wirkte ich an Mamoru Oshiis Werk Patlabor mit, und als Patlabor schließlich als Kinofilm adaptiert wurde, bin ich nach Tokio gezogen. Später kam es dann so, dass ich auch an Mamoru Oshiis Adaption von Ghost in the Shell mitgearbeitet habe. Den Manga von Shirow Masamune kannte ich aber schon vorher.
Wie kam es genau dazu, dass Sie für Mamoru Oshiis bahnbrechenden erster Anime-Movie-Adaption von Ghost in the Shell als Key Animation Supervisor verpflichtet wurden?
KK: Seit der Zusammenarbeit mit Mamoru Oshii bei Patlabor wurde ich irgendwie immer wieder für die Arbeiten an seinem Werk verpflichtet. Genauso war es bei dem Film. Ishikawa-san (Anm. d. Red.: Mitsuhisa Ishikawa, Studiochef von Production I.G) hat es einfach so bestimmt: „Das wird dein nächster Job.“ Aber ich war selbst auch an der Arbeit dieses Werks interessiert, denn das Charakterdesign übernahm Hiroyuki Okiura: Er war und ist von mir schon seit meiner Osaka-Zeit ein guter Kollege von mir.
Worin liegt Ihrer Meinung nach der besondere Reiz der Geschichte von Ghost in the Shell, dank dem sie sich knapp drei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung des Mangas immer noch solch großer Beliebtheit erfreut?
KK: Mmh, was wird es wohl sein? Ich weiß es selbst nicht genau. Ich war vorher schon ein Fan von Shirow Masamunes Manga-Vorlage und habe mich gefragt, wie man das in einen Anime adaptieren soll. Ich bin ein Fan von Shirow Masamunes Werken, aber ich weiß selbst nicht genau, warum ich sie so mag. Es ist schwer zu erklären, aber bei seinen Werken sammelt der Leser neues Wissen. Es ist nicht nur die Story selbst – es wird zum Beispiel auch dargestellt, wie das System funktioniert, indem verschiedene Punkte durch die Darstellung aufgezählt werden, die aus dem Manga herausspringen und vom Leser aufgenommen werden. Das ist interessant.
Nachdem die Geschichte von Ghost in the Shell bereits zahlreiche Fortsetzungen in Manga- und Anime-Form erfahren hatte, entstand zwischen 2013 und 2015 unter Ihrer künstlerischen Leitung die vierteilige Prequel-OVA Ghost in the Shell – ARISE. Können Sie uns schildern, wie dieses Projekt zustande kam und was genau die Idee dahinter war?
KK: Auch für dieses Projekt wurde ich wieder von meinem Chef Ishikawa-san angesprochen – und zwar zu einem Zeitpunkt, als es schon grünes Licht bekommen hatte. Allerdings hat mich Ishikawa-san erpresst: Er meinte, er würde mir erst verraten, um welchen Titel es sich handelt, wenn ich zugesagt habe! (lacht) Also habe ich aus Neugier „ja“ gesagt – und dann war es das neue Projekt zu Ghost in the Shell. Hätte ich vorher gewusst, dass es sich um Ghost in the Shell handelt, hätte ich bestimmt abgelehnt. Mein erster Gedanke dazu war nämlich: Was kann man nach Mamoru Oshiis Werk und Kenji Kamiyamas Ghost in the Shell: Stand Alone Complex noch dazu machen? Wir haben uns dann überlegt, dass ja die Vergangenheit von Motoko, bevor sie Major wurde, vorher noch nicht dargestellt wurde. Im Großen und Ganzen haben wir Ideen für das Projekt den Prop-Settings entnommen, die von Shirow Masamune selbst stammen. Was ich konkret gemacht habe, war das Beisteuern von visuellen Ideen, zum Beispiel die Frisur von Motoko, also dass ihr Pony kurz sein sollte!
Nachdem Sie bereits an Mamoru Oshiis Ghost in the Shell-Movies als Animation Supervisor mitgewirkt hatten, fungierten Sie bei Ghost in the Shell – ARISE als Chief Director. Können Sie uns beschreiben, worin dabei genau Ihre Aufgaben lagen und inwieweit Ihnen hierfür Ihre Erfahrung als Produktionsmitglied der Movies zugutekam?
KK: Die Arbeit des Chief Directors liegt ja eigentlich fast ausschließlich im Entscheiden. Zu den einzelnen Episoden gibt es noch einmal separat Regisseure. Die haben eigentlich die tatsächliche Arbeit gemacht. Natürlich war ich bei den Drehbuch-Meetings dabei, aber ich habe mir nur angehört, was die anderen zu sagen hatten, mit einem Lächeln auf meinem Gesicht. (lacht) Als das Storyboard fertig war, habe ich alles gecheckt und an einigen Stellen, wo die Settings der Charaktere meiner Meinung nach nicht ganz stimmten, abgeändert. Im Großen und Ganzen habe ich die Regisseure der einzelnen Episoden das machen lassen, was sie machen wollten.
Die Story von Ghost in the Shell – ARISE stammt aus der Feder des japanischen Sci-Fi-Autors Tow Ubukata. Wie können wir uns Ihre Zusammenarbeit mit ihm genau vorstellen?
KK: Es gab zwar von Anfang an eine grobe Storyline als Basis, aber Ubukata-san hat sich erst einmal angehört, was die Regisseure der einzelnen Episoden gerne machen wollten, um mit ihnen abzustimmen, wie die Story aufgebaut werden sollte. Danach haben wir uns alle zusammengesetzt und haben Ideen gesammelt, die wiederum Ubukata-san ins Drehbuch mit eingebracht hat.
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[tie_slide]Ghost in the Shell – The New Movie: ©Shirow Masamune・Production I.G/KODANSHA・GHOST IN THE SHELL: THE MOVIE COMMITTEE. All Rights Reserved.[/tie_slide]
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Ghost in the Shell – The New Movie: ©Shirow Masamune・Production I.G/KODANSHA・GHOST IN THE SHELL: THE MOVIE COMMITTEE. All Rights Reserved.[/tie_slide]
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Was haben Sie bei der Produktion von Ghost in the Shell – ARISE als größte Herausforderung empfunden? Waren es beispielsweise gewisse Continuity-Fragen, die Sie bei der Produktion des Ghost in the Shell-Prequels im Auge behalten mussten? Oder war es vielleicht eher ein bestimmter technischer Aspekt bei der Umsetzung, der sich als schwierig erwies?
KK: Mir fallen keine besonderen Herausforderungen in dem Sinne ein. Es war eher meine Aufgabe, alle Beteiligten aufzulockern. Denn viele Leute im Produktionskomitee und Mitwirkende an ARISE sind große Ghost in the Shell-Fans und waren sehr nervös, was die Arbeit, einschließlich der Continuity-Fragen, anging. Ich habe diese Leute immerzu aufgemuntert, dass sie lockerer damit umgehen sollen. (lacht)
Um noch einmal auf das Stichwort „Continuity“ zurückzukommen: Inwieweit war Shirow Masamune als Originalautor in die Produktion mit eingebunden? Haben er und/oder Kodansha Ihnen hinsichtlich mancher Detailfragen zu Ghost in the Shell beratend zur Seite gestanden?
KK: Konkret hat er nicht so viel mitgewirkt. Er hat einen Plot erstellt, der uns als grundlegende Idee diente. Ansonsten hat er uns gesagt: „Macht daraus, was ihr wollt.“ Von Kodansha-Seite sowie einigen Parteien des Produktionskomitees gab es hier und da einige Einwände, da sie bestimmte Charaktereigenschaften auf keinen Fall verändern wollten.
Auf die vierteilige OVA Ghost in the Shell – ARISE folgte der TV-Re-Edit Alternative Architecture sowie das Film-Sequel Ghost in the Shell: The New Movie, die beide ebenfalls von Ihnen als Chief Director inszeniert wurden. Ist das ARISE-Projekt mit diesem abschließenden Film definitiv beendet oder gibt es eventuell Pläne, die Geschichte in weiteren Produktionen fortzuführen?
KK: Ich sehe meine Arbeit an Ghost in the Shell als beendet an. Ich denke, dass vielleicht jemand anderes eine Fortsetzung kreieren könnte. Persönlich habe ich für mich mit Ghost in the Shell abgeschlossen, aber ich würde gerne ein weiteres neues Ghost in the Shell von jemandem anderen sehen.
In den verschiedenen Adaptionen, die Ghost in the Shell im Laufe der Jahre erfahren hat, wird Shirow Masamunes ursprüngliche Zukunftsvision mal mehr, mal weniger positiv dargestellt. Während der Original-Manga die Cyborgisierung des Menschen beispielsweise als zwangsläufigen Schritt seiner evolutionären Entwicklung sieht, legt Mamoru Oshiis tiefgründiger Anime-Movie den Fokus mehr auf die psychischen Auswirkungen, die die Mechanisierung des Menschen auf die Persönlichkeit und das Identitätsverständnis des Individuums haben können. Wie stehen Sie zu diesem Thema? Denken Sie, dass uns Menschen eine technisch fortgeschrittene Welt, wie sie Ghost in the Shell entwirft, eher Vor- oder Nachteile bringen würde?
KK: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, dass wir uns jetzt bereits in solch einem Zeitalter befinden und wir Menschen uns den Kopf darüber zerbrechen, ob das „gut“ ist oder nicht. Arm- und Beinprothesen oder auch Netzhaut-Chips und künstliche Intelligenz nehmen immer mehr zu. Wir nähern uns also immer mehr solch einer Welt und ich denke, dass wir uns mehr und mehr Sorgen über diese Sache machen werden. Für mich persönlich: Auch wenn ich die Möglichkeit hätte, mich „umzubauen“ … ich würde das nicht machen. Ich möchte lieber normal sterben.
Gibt es irgendwelche Filme, Serien oder Bücher, die Sie zu Ihren absoluten Lieblingstiteln aller Zeiten zählen und die Sie womöglich auch in Ihrer Arbeit als Anime-Regisseur maßgeblich beeinflusst haben?
KK: Ich mag den Film Die Blechtrommel sehr gerne! Den zähle ich meist als Erstes auf, wenn ich nach meinen Lieblingsfilmen gefragt werde. Ansonsten mag ich Filme von John Carpenter. Ich schaue auch oft koreanische Filme, zum Beispiel mochte ich Welcome to Dongmakgol. In dem Film gibt es eine Szene, wo ein Gebäude, in dem Mais gelagert wird, bombardiert wird und der gelagerte Mais dadurch zu Popcorn wird. Ist das nicht eine komische Darstellung? Ich liebe den Film! Im Flug nach Deutschland lief ein koreanischer Film namens The King; den habe ich auch geschaut und der war ebenfalls interessant. Als Anime-Regisseur lasse ich mich eigentlich von allem beeinflussen, was ich schaue. Seien es einzelne Szenen, die Schauspielerei von Darstellern oder sonstige Dinge.
Was sind Ihre nächsten Projekte als Regisseur? Gibt es bereits etwas Neues, an dem Sie gerade arbeiten und von dem Sie unseren Lesern bereits berichten können?
KK: Momentan wirke ich an der TV-Serie Welcome to the Ballroom mit. Leider bin ich etwas spät dran und muss daher, wenn ich in Tokio zurück bin, vom Flughafen aus direkt ins Studio fahren. (lacht)
Herr Kise, nochmals vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft!
[author title=”Lest die Review!” image=”https://wordpress.p478849.webspaceconfig.de/wp-content/uploads/2017/11/Cover_6_2017.jpg”]Unsere ausführliche Review zu Ghost in the Shell: The New Movie lest ihr in der AnimaniA 6/2017, die ab dem 6. Oktober am Kiosk und als DVD-Ausgabe im Comic- und Fachhandel erhältlich ist. Beide Versionen der AnimaniA könnt ihr auch über unseren Onlineshop www.animagine.eu bestellen. In unserem Gewinnspiel auf www.AnimaniA.de könnt ihr noch bis zum 17. Oktober je 1x Ghost in the Shell – The New Movie auf DVD und Blu-ray gewinnen.[/author]