Im Dezember bringt Carlsen Comics hierzulande mit dem Einzelband Zwei Espresso ein weiteres Werk aus der Feder von Kan Takahama (u. a. Stille Wasser, s. AnimaniA 3/2016) unter dem Graphic-Novel-Label in den Handel. Unseren Bericht zu Zwei Espresso findet ihr in der aktuellen AnimaniA 1/2017. Auf dem diesjährigen Internationalen Comic-Salon Erlangen haben wir Kan Takahama zu einem Interview getroffen, das wir euch an dieser Stelle präsentieren.
Takahama-san, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview mit AnimaniA nehmen! Kommen wir zunächst zu ihrem Titel Stille Wasser, in dem Sie sich verschiedenen Kurzgeschichten widmen, die von komplizierten Beziehungen erzählen. Was reizt sie an dieser melancholischen Thematik?
Kan Takahama (KT): Der Verlag trat mit der Anfrage nach einem Werk an mich heran, das sich an Frauen richtet, ein bisschen erotisch ist und auch eben diese melancholische Thematik beinhaltet. Und ich habe mich an die Vorgaben, die der Verlag gemacht hat, gehalten. (lacht)
Wodurch haben Sie sich für die Geschichten in Stille Wasser inspirieren lassen? Gab es vielleicht sogar reale Ausgangssituationen, die Sie abstrahiert und verarbeitet haben?
KT: Ich finde schon Anregungen im alltäglichen Leben. Wenn ich jemanden treffe, der nicht ganz alltäglich ist, oder Situationen beobachte, die ein bisschen verzwickter und komplizierter sind. Aus denen ziehe ich dann Ideen.
Sie benutzen im Werk auch Fotos und Kassenbelege als Gestaltungsmittel. Wie sind Sie auf diese Materialauswahl gekommen?
KT: Zum einen habe ich sie verwendet, um näher an der Realität zu sein. Zum anderen ist es aber auch so, dass ich eine Szene grob entworfen habe, indem ich das, was die Hauptperson dort macht, auch selbst gemacht habe. Um zu verstehen, wie sich die Hauptperson dabei fühlt.
Die erste Geschichte, Introduction, ist aus der Sicht eines männlichen Manga-kas erzählt. Was hat sie daran gereizt, die Geschichte aus einer Männerperspektive zu schildern?
KT: Mein Künstlername ist in Japan ein Männername. Deswegen sollen die Leser denken: Das ist eine wahre Geschichte aus der Sicht des Autors.
Aber es ist trotzdem eine Josei-Geschichte?
KT: Ich genieße es, den Leser an der Nase herumzuführen! (lacht)
Haben Sie eine Lieblingsgeschichte in Stille Wasser?
KT: Mir gefällt Introduction ganz gut.
Wie entwickeln Sie Ihre Geschichten allgemein? Zum Beispiel: Haben Sie zuerst die Charaktere im Kopf und bauen Ihnen dann eine Story oder möchten Sie sich einem bestimmten Thema widmen und erschaffen dann dafür die Charaktere, die sie brauchen?
KT: Da gibt es einen Unterschied zwischen einer Kurzgeschichte und längeren Geschichten. Bei den Kurzgeschichten mache ich es unterschiedlich: Manchmal habe ich die Charaktere im Kopf und entwickele daraus die Szenen, manchmal habe ich bestimmte Szenen im Kopf und suche mir dazu die Charaktere. Aber es ist immer eins der beiden im Vordergrund und das baue ich dann ein bisschen aus. Wenn es aber ein längeres Projekt ist, dann recherchiere ich zuerst. Ich lese zum Beispiel Bücher und tue das, was die Hauptpersonen vielleicht auch machen könnten, um es selbst zu erfahren. Und wenn das alles erledigt ist, entwickle ich mir die Charaktere und einzelne Szenen. Aber die Gesamtgeschichte entsteht quasi erst am Schluss.
Gibt es eine generelle Botschaft, die sie den Lesern mit ihren Werken vermitteln wollen oder sind es unterschiedliche, je nach Geschichte?
KT: In längeren Geschichten gibt es eine Botschaft für den Leser. In Kurzgeschichten geht es mir aber mehr darum, Gefühle zu vermitteln. Der Leser soll sich zum Beispiel traurig oder froh fühlen.
Wer ist Ihr idealer Leser? Schreiben Sie zum Beispiel für eine bestimmte Zielgruppe oder primär für sich selbst?
KT: Das hängt eher davon ab, wo das Ganze veröffentlicht wird. In Japan ist es ja eher so, dass die Manga in einer Zeitschrift veröffentlicht werden und dann zum Buch werden. Wenn sich die Zeitschrift mehr an Frauen richtet, dann stelle ich mich entsprechend darauf ein.
Und wenn Sie es sich aussuchen könnten?
KT: Dann würde ich am liebsten für mich selbst schreiben.
Im Dezember erscheint mit Zwei Espresso ein weiteres Werk aus Ihrer Feder auf Deutsch bei Carlsen. Der Band entstand nach unserer Recherche für den französischen Verlag Castermann. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
KT: Ich hatte zuerst keine Verbindung zu dem französischen Verlag. Das kam erst, als ich nach Angoulême (Anm. d. Red.: Kan Takahama war 2003 zu Besuch auf dem Comic-Festival in Angoulême) gefahren bin. Dort habe ich mich verschiedenen Verlagen vorgestellt und bin zufällig mit Castermann ins Gespräch gekommen. Wir haben uns recht gut verstanden und dann hieß es, sie würden etwas von mir veröffentlichen. Ich hatte Glück!
Wie wichtig ist Ihnen diese inhaltliche Vielfalt bei Ihrer Arbeit?
KT: Ich wollte in den letzten zehn Jahren möglichst viel ausprobieren. Wenn man sich nur an ein Genre oder Thema hält, wird man dessen überdrüssig. Ich möchte lieber viele verschiedene Sachen ausprobieren. Mein erstes Werk erschien zum Beispiel bei einem Underground-Verlag (Anm. d. Red.: Die Kurzgeschichtensammlung Yellowbacks, in Japan erschienen bei Seirindo und dessen Magazin Garo) und ich möchte nicht nur damit in Verbindung gebracht werden. Ich möchte auch bei den größeren Verlagen ankommen und da natürlich überzeugen.
Wie war es für Sie, bei Zwei Espresso in westlicher Leserichtung zu arbeiten?
KT: Da der Titel bei einem europäischen Verlag erscheinen sollte, war von Anfang an klar, dass er zuerst in Europa veröffentlicht werden würde. Also habe ich im dort üblichen Stil gezeichnet und erst danach wurde der japanische Verlag für die Veröffentlichung ausgesucht. Über die geänderte Leserichtung habe ich mir keine Gedanken gemacht. Japaner wie Europäer können ja die westliche Leserichtung lesen. Daher war das eher unwichtig.
Für wie wichtig halten Sie den Austausch zwischen Comic-Kulturen?
KT: Also die japanische Manga-Szene ist etwas abgeschottet. Da ist nicht so der Drang, sich auszutauschen, vorhanden. Die Redakteure der Verlage sollten sich austauschen. Also vielleicht sogar weniger die Künstler, sondern die Verlage, die die Bücher verkaufen.
Sie haben in Ihrer Karriere sowohl Werke erstellt, die vorab in Magazinen erschienen, als auch solche, die direkt als Taschenbuch veröffentlicht wurden. Gibt es eine Arbeitsweise, die sie bevorzugen und wenn ja, welche und warum?
KT: Also im Prinzip gibt es keine, die ich bevorzuge. Wenn man es gleich als Buch veröffentlicht, kann man ziemlich frei zeichnen, aber es besteht natürlich die Gefahr, dass man sich verzettelt. Umgekehrt hat man, wenn man zum Beispiel in einer Zeitschrift ist, eine Deadline, die unter Umständen recht anstrengend sein kann. Dafür sieht man hier aber Monat für Monat die Reaktionen der Leser und kann diese dann natürlich auch entsprechend verarbeiten.
Sie werden am Sonntag auf dem Comic-Salon einen Workshop mit dem Titel Show and Tell leiten. Unter unseren Lesern sind viele Nachwuchs- und Hobbymanga-ka. Haben Sie vielleicht einen Storytelling-Tipp für Sie? Zum Beispiel, wie man eine Slice-of-Life-Geschichte spannend erzählt und gestaltet?
KT: Ich denke, dass es viele Künstler gibt, die sich beim Zeichnen sehr viel Mühe geben, aber nicht wissen, wie sie eine gute Geschichte schreiben können. Diesen Leuten würde ich empfehlen, sich anzusehen, wie Romane oder die Szenarien ihrer Lieblingsfilme aufgebaut sind. Zumindest ich habe es so gelernt. Wenn sie das machen würden, wäre das schon ziemlich gut, denke ich.
Haben Sie zum Abschluss noch eine Botschaft an Ihre deutschen Fans?
KT: Also ich hätte nie gedacht, dass deutsche Leser meine Werke lesen würden und ich bin sehr dankbar dafür. Ich finde es toll, dass sie meine Werke annehmen und lesen!
Takahama-san, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit Ihren Werken!
Das Interview führte Anne Delseit.