Egmont Manga und alle hiesigen Fans der eindrucksvollen, mehrfach preisgekrönten Fantasy-Saga Atelier of Witch Hat – Das Geheimnis der Hexen (Atelier of Witch Hat, u. a. Bester Manga der Harvey Awards 2020) hatten sich sehr auf den Deutschlandbesuch der Manga-ka Kamome Shirahama anlässlich der Manga-Comic-Con 2020 gefreut, doch dann kam COVID-19 und die Messe sowie der Besuch der Künstlerin konnte leider nicht stattfinden. Umso mehr freuen wir uns, dass sich Shirahama-sensei trotz der auch in Japan andauernden Pandemielage die Zeit genommen hat, unsere für Leipzig geplanten Fragen zu beantworten. So hatten wir die Ehre, die Manga-ka bereits zum zweiten Mal zu interviewen. Unser erstes Interview zum deutschen Start von Atelier of Witch Hat lest ihr in der AnimaniA 1/2019. Anknüpfend an unser letztes Gespräch haben wir Shirahama-sensei diesmal unter anderem zu ihrem vorherigen Deutschlandbesuch befragt – und natürlich zu ihrer laufenden Arbeit an Atelier of the Witch Hat. Übrigens: Band 7 ist just am 3. Dezember auf Deutsch bei Egmont Manga erschienen (auch – solange verfügbar – als Limited Edition mit Extra) und in Japan folgt am 23. Dezember Band 8.
Shirahama-sensei, in unserem letzten Interview haben Sie uns erzählt, dass Sie schon einmal in Deutschland gewesen sind. Bitte berichten Sie von dieser Reise!
Kamome Shirahama (KS): Als ich das letzte Mal in Deutschland war, habe ich unter anderem – auch zur Recherche für Atelier of Witch Hat – das Kaltenberger Ritterturnier besucht. Bei diesem Festival wird in einem ganzen Dorf das Leben zur Mittelalterzeit nachgestellt. Ich hatte mir schon länger gedacht, dass das eine gute Inspirationsquelle sein könnte und wollte es unbedingt einmal mit eigenen Augen sehen. Aber wirklich selbst vor Ort zu sein, hat aber selbst meine kühnsten Vorstellungen übertroffen. Es war wundervoll und das Reitturnier und die anderen Shows haben wahnsinnig viel Spaß gemacht. Im Anschluss habe ich noch den Alpsee, an dem das Schloss Neuschwanstein liegt, und München besucht und habe Spaziergänge in Wäldern und an Seen gemacht. Auf dieser Reise sind mir so viele Ideen gekommen, dass ich wahrscheinlich jedes Mal nach Deutschland fahren sollte, wenn ich einmal mit der Story von Atelier of Witch Hat nicht mehr weiterweiß.
Ihre in Deutschland gesammelten Eindrücke haben also auch Ihren Weg in Atelier of Witch Hat gefunden?
KS: In Atelier of Witch Hat finden sich tatsächlich jede Menge Einflüsse aus Deutschland. Die Atmosphäre in den Orten, das Essen, die Landschaften, die Luft, Bäume, Pflanzen oder die Farbe der Erde. Leider war mein Aufenthalt nur so kurz, dass ich kein wirklich tiefes Wissen über den Landschaftscharakter oder die Kultur des Landes erwerben konnte, aber dennoch haben mich viele Dinge, die es so in Japan nicht gibt, auf eine ganz neue Weise zum Staunen gebracht: Stark verzweigte, knorrige Bäume, Blumen, die ganz anders wachsen und wunderschön verzierte Gebäude aus Stein oder Holz. Auch das Essen, Getränke, die Atmosphäre, wenn abends die Sonne untergeht, ein nächtlicher Spaziergang am See … Ich glaube, viele meiner Eindrücke aus Deutschland sind direkt in den Manga eingeflossen.
Was für eine Vorstellung hatten Sie von diesem Land, bevor sie hierhergekommen sind und was für einen Eindruck haben Sie von Land und Leuten gewinnen können?
KS: Ich glaube, dass man sich keine zu feste Meinung von einem Land bilden sollte, bevor man es auch wirklich besucht hat, aber aus Büchen und den Medien hatte ich den Eindruck, dass man in Deutschland ernst, streng und fleißig ist. In der Realität waren die Leute aber total freundlich und hilfsbereit und haben mir mehr als einmal bei meinem Aufenthalt aus der Patsche geholfen.
Das ist jetzt etwas peinlich, aber ich habe zum Beispiel einmal auf der Reise meine Tasche in der Gepäckablage des Busses vergessen. Das nette Hotelpersonal hat für mich bei dem Busunternehmen angerufen und die Nummer des Busses herausfinden lassen und recherchiert, um wieviel Uhr der Bus noch einmal vorbeikommt, damit ich nach meiner Tasche schauen kann. Letztendlich ist sie wohlbehalten wieder aufgetaucht und ich war gerührt und dankbar, dass man mir so sehr geholfen hat. Da sich in der Tasche auch Arbeitsmaterialien befanden, war ich unfassbar erleichtert.
Wie hat Ihnen die deutsche Küche geschmeckt? Würden Sie uns Ihre drei Lieblingsspeisen verraten?
KS: Nummer eins: Wurst vom Imbiss – ich habe sehr viel Weißwurst gegessen! Nummer zwei: Bier – das habe ich jeden Tag getrunken, vor allem Weizenbier hatte es mir angetan. Nummer drei: Die Salzkartoffeln, die ich im Biergarten gegessen habe. Und Schnitzel. Und Brezeln. Alles, was ich in Deutschland gegessen habe, war wirklich lecker.
Welche anderen Reiseziele jenseits von Deutschland würden Sie – nicht nur zu Recherchezwecken – gerne einmal besuchen?
KS: Ich war noch nie in Skandinavien und würde gerne einmal nach Finnland oder Island reisen. Die Natur in Lappland finde ich extrem faszinierend. Und in Island gibt es einen riesigen Riss in der Erde, der Gjá genannt wird, das finde ich auch spannend. Ich liebe es, mir Wälder, Gestein und Berge anzuschauen, deshalb würde ich gerne an Orte mit viel Natur reisen. Außerdem interessiert mich das Zusammenspiel zwischen den landschaftlichen Verhältnissen und den Gebäuden einer Region, daher würde ich dort gerne die Farben der Steine, das Material der Wände, die Formen der Hausdächer usw. unter die Lupe nehmen.
Band 6 von Atelier of Witch Hat erschien im März auf Deutsch, im Dezember folgt Band 7 (rechts: Cover). Ohne zu viel zu verraten: Worauf können sich die Fans im neuen Storybogen freuen?
KS: Coco kommt Stück für Stück dem Geheimnis der Welt näher. Indem sie lernt, mit welchen Problemen diese Welt zu kämpfen hat, steht auch sie vielleicht irgendwann vor einer schweren Entscheidung … Unabhängig davon rückt das große Silbernachtsfest näher, eine jährliche Festivität der Hexen und Zauberer. Ich wollte auch die Vorbereitungen dafür und den fröhlichen Alltag im Atelier zeigen. Bei den Vorbereitungen gibt es schließlich jede Menge Vorfreude und Pannen!
Der fünfte Bands hielt zahlreiche dramatische Ereignisse rund um die zweite Zauberprüfung in der Schlangenschwanzgrotte, die Konfrontation mit den Menschen von Romomon einerseits und den Krempenhüten andererseits sowie Yuinys Verwandlung bereit. Hier ist besonders bemerkenswert, wie dicht und vielschichtig Sie erzählen und die Leser parallel mehr und mehr über die vielen individuell ausgestalteten Figuren erfahren. Wie behalten Sie bei der Planung der Kapitel den Überblick über die vielen aktiven Charaktere?
KS: Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich habe einen grundlegenden Aufbau der Geschichte und der Charaktere im Kopf, doch die Charaktere entwickeln auch ein Eigenleben. Das führt manchmal zu unvorhersehbaren Situationen, an die ich mich anpassen muss. Es sind keine festen, bis ins letzte Detail ausgearbeitete Strukturen, sondern eher verschiedene Fragmente, die in meinem Kopf herumfliegen. Diese greife ich auf, verbinde sie miteinander und lasse daraus die Geschichte entstehen.
Welcher Arbeitsschritt macht Ihnen persönlich am meisten Freude und warum?
KS: Das Reinzeichnen der fertigen Seiten mit der Feder. Es ist ein schönes Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Haben Sie bereits die Atelier of Witch Hat-Story bereits komplett durchgeplant oder halten Sie sich noch Optionen offen?
KS: Der grobe Verlauf der Story steht fest, aber ich kann noch nicht sagen, ob tatsächlich auch alles genau so sein wird, wie ich es ursprünglich geplant habe. Ich hoffe, dass die Leser noch viel Spaß mit der Serie haben werden.
Sie veröffentlichen gemeinsam mit Hiromi Satou das Spin-off Tongari Boushi no Kitchen (Kitchen of Witch Hat, Bild links: jap. Cover Band 1). Könnten Sie unseren Lesern erzählen, wovon die Geschichte handelt und wie es zu diesem Spin-off und zu der Zusammenarbeit mit Hiromi Satou kam?
KS: Die Redaktion kam auf mich mit dem Vorschlag zu, was ich von einem Spin-off zu Atelier of Witch Hat halten würde. Da ich das Konzept eines Shared Universe schon immer spannend fand, habe ich gerne zugestimmt. Doch es war gar nicht so einfach zu entscheiden, worum es gehen sollte, was für eine Sidestory den Lesern Spaß machen würde und was sie gerne lesen wollten. Letztendlich haben wir uns für das Thema Essen entschieden, weil man durch die Zutaten und das Kochen das Leben und die Kultur der Welt von Atelier of Witch Hat noch besser kennenlernen kann. Ich beaufsichtige dieses Projekt zwar redaktionell, aber ich freue mich auch jedes Mal selbst als Leser auf das neue Kapitel!
Atelier of Witch Hat zeigt uns eine wunderbare Fantasy-Welt – gibt es vielleicht auch ein anderes Genre oder ein anderes Thema, das Sie in Zukunft gerne einmal als Manga bearbeiten würden?
KS: Science Fiction und Mystery. Vor allem Science Fiction reizt mich schon lange, und ich habe auch schon eine potenzielle Story im Kopf.
Da sich viele unserer Leser auch sehr für Japan interessieren und gerade ihre erste oder nächste Reise planen: Welche drei Orte beziehungsweise Sehenswürdigkeiten und Gerichte in Japan sollten sie bei einem Besuch auf keinen Fall verpassen?
KS: Zu den Orten: Erstens: Tokio! Die Stadt hat so viele verschiedene Seiten, vom alten „Downtown“ Tokio bis hin zu den lebhaften, glitzernden Geschäftsvierteln. Dieses Durcheinander ist ziemlich spannend. Außerdem kann man dort auch viele Schauplätze aus Anime und Filmen besuchen, das macht mit Sicherheit Spaß. Zweitens: Kamikochi in der Präfektur Nagano. Das ist ein wunderschönes Ausflugsgebiet mitten in den Bergen. Mit etwas Glück kann sehen, wie der Taisho-See bei Tagesanbruch von Nebel eingehüllt wird oder wie sich der dichte Bergwald im stillen Myojin-See spiegelt. Drittens: Die Präfektur Nara, die für ihre vielen Rehe berühmt ist. Dort gibt es viele altehrwürdige, friedliche Tempel und ich mag es dort sehr. Insbesondere die fünfstöckige Pagode, die am Hang des Berges des Muro-ji-Tempels steht, und das innere Heiligtum, das man erst sieht, nachdem man eine Steintreppe hochgestiegen ist, haben es mir angetan. Und zum Essen: Nummer eins: Sushi. Ich liebe besonders Seeigel, Austern und andere Muscheln. Zweitens: Sara-Udon – eine Spezialität aus Nagasaki, bei der frittierte, meist dünne Nudeln mit einer zähflüssigen Soße mit einer zähflüssigen Soße mit Gemüse. Knusprig und lecker! Drittens: Hegi-Soba – eine Spezialität aus der Präfektur Niigata. Die Buchweizennudeln haben hier eine grüne Farbe, weil Algen im Nudelteig sind. Man isst sie wie normale Soba-Nudeln kalt mit einem Dipp.
Haben Sie zum Abschluss noch eine Botschaft an Ihre Fans in Deutschland?
KS: An vielen Orten auf der Welt herrscht gerade Verwirrung und Unsicherheit. Ich glaube fest daran, dass in schwierigen oder schmerzhaften Zeiten Geschichten, die einem viel bedeuten, eine seelische Stütze sein können. Es wäre schön, wenn auch Atelier of Witch Hat den Lesern ein klein wenig Kraft für ihren Alltag geben könnte. Ich glaube auch fest daran, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft doch noch einmal nach Deutschland kommen kann, um mit euch allen über Mangas und Lieblingsgeschichten zu reden und zusammen zu lachen. Vielen Dank!
Vielen Dank für Ihre Zeit, Shirahama-sensei! Bleiben Sie gesund – wir drücken die Daumen, dass sich Ihr Deutschlandbesuch bald nachholen lässt!