Interview: Canno über Küsse und weiße Lilien für meine Liebste

Interview: Canno über weiße Lilien und Küsse für meine Liebste
© Canno 2014/KADOKAWA CORPORATION

Girls‘-Love-Fans aufgepasst: Seit dem 5. Februar veröffentlicht TOKYOPOP die Highschool-Romance-Reihe Küsse und weiße Lilien für meine Liebste aus der Feder von Manga-ka Canno (u. a. Die Arbeitslose und das Schulmädchen in èclair). Während seit 7. April auch bereits Band 2 (mit Lesezeichen-Extra) im Handel ist, haben wir Canno für die aktuelle AnimaniA 3/2021 anlässlich des Starts der Reihe ausführlich zu ihrem künstlerischen Werdegang und ihrer Arbeit interviewt. Unsere Review und die Heftfassung des Interviews lest ihr in im Heft – gleich hier lest ihr die ungekürzte Version mit allen Fragen und Antworten!

Interview: Canno über weiße Lilien und Küsse für meine Liebste
Die Bände der deutschen TOKYOPOP-Ausgabe ziert dieses schöne Rückenbild! © Canno 2014/KADOKAWA CORPORATION
Canno-sensei, wie sind Sie zum Manga-Zeichnen gekommen?

Canno: Ich habe schon als Kind Bilder und Einseiter-Mangas gezeichnet, aber mit richtigen, mehrseitigen Mangas habe ich erst in meinen 20ern angefangen. Der Anlass, mir das Mangazeichnen beizubringen, war ein Spiel in einem sozialen Netzwerk. Es gab eine Gruppe, in der mehrere Zeichner verschiedene Charaktere zu demselben Worldsetting entwickelten und daraus eine Story bauten. Ich nahm daran teil und habe dadurch angefangen, Mangas zu zeichnen. Über dieses „Spiel“ lernte ich jemanden kennen, mit dem ich einen Dojinshi-Zirkel gründete, in dem wir Yuri-Werke zeichneten. Ich zeichnete eine Weile Yuri-Dojinshi in diesem Zirkel und irgendwann kam es dann dazu, dass ich auch professionell Mangas zeichnete.

Wie sind Sie speziell auf Girls‘-Love-Geschichten gestoßen und haben sich dieses Genre für Ihr Schaffen ausgesucht? Was macht das Genre für Sie besonders reizvoll?

Canno: Meine Neugier für das Yuri-Genre fing mit der Begegnung mit der Novel-Reihe Maria-sama ga miteiru von Oyuki Konno an. Der Anlass, warum ich selbst angefangen habe Yuri zu zeichnen, war das in der letzten Antwort erwähnte Spiel. Es handelte sich um ein Projekt, für das wir Storys mit weiblichen Charakteren in einem ähnlichen Worldsetting wie Maria-sama ga miteiru kreierten. Dadurch habe ich angefangen, viele Geschichten über Freundschaft und Liebe zwischen Mädchen zu zeichnen. Es gibt viele Faktoren, die ich an dem Genre Yuri reizvoll finde, aber eine Sache wäre die, dass ich selbst als Frau bei den Geschichten mit den weiblichen Charakteren viel mitempfinde.

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Canno zeigt euch ihre Manga-Sammlung!
Gibt es bestimmte Künstler oder Werke, von denen Sie sich beeinflusst fühlen?

Canno: Zu der Zeit, als ich nur 1-Seiter-Mangas oder 4-Panel Mangas gezeichnete, hatte ich Azumanga Daioh von Kiyohiko Azuma als Vorbild. Außerdem denke ich, dass ich von Maria-sama ga miteiru beeinflusst wurde, da dies das Werk war, weswegen ich anfing, Yuri zu zeichnen. Als ich an der Serie Küsse und weiße Lilien für meine Liebste arbeitete, schlug mein Redakteur vor, pro Kapitel jeweils ein doppelseitiges Panel mit reinzunehmen. Für die Umsetzung dessen habe ich mir ARIA von Kozue Amano angeschaut. Außer diesem einen Punkt handelt es sich bei dem Werk um ein anderes Genre und auch die Darstellung ist recht verschieden, aber es könnte sein, dass ich auch von ARIA beeinflusst wurde, da ich es mir oft angeschaut habe. Ansonsten gab es auch eine Zeit, in der ich die Manga-Zeitschrift Bessatsu Margaret gelesen habe. Ich denke also, dass mich die Serien aus der Zeitschrift ebenfalls beeinflusst haben.

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Canno zeigt euch ihren Schreibtisch!
Welches Zeichenwerkzeug benutzen Sie? Zeichnen Sie zum Beispiel überwiegend analog mit Feder auf Papier, oder nutzen Sie ausschließlich ein Grafiktablett und eine Zeichensoftware?

Canno: Ich zeichne sowohl die Illustrationen als auch die Manga-Seiten komplett digital. Von der Vorzeichnung bis hin zur Ausarbeitung nutze ich die Software CLIP STUDIO PAINT der Firma CELSYS. Früher habe ich auch Stifttabletts benutzt, aber als ich angefangen habe, das Werk Küsse und weiße Lilien für meine Liebste zu zeichnen, habe ich auch gleichzeitig angefangen, ein Grafiktablett mit Display zu benutzen. Aktuell benutze ich Cintiq pro 13 von WACOM. Bei den Vorzeichnungen benutze ich die Filz-Spitze und beim Outlinen die Pinsel-Spitze. In letzter Zeit kommt es auch vor, dass ich die Vorzeichnungen auf dem iPad mit dem Apple Pencil zeichne.

Aktuell startet Ihre Reihe Küsse und weiße Lilien für meine Liebste auf Deutsch bei TOKYOPOP. Wie kam Ihnen die Idee für dieses Werk?

Canno: Auf einem Dojinshi-Verkaufsevent wurde ich von einem Mitarbeiter eines Verlags bezüglich eines Serienabdrucks von einem Yuri-Manga angesprochen. Ich sollte grob mitteilen, was ich gerne zeichnen möchte und habe einige Vorschläge eingereicht wie zum Beispiel die Story von Ayaka und Yurine oder von Mizuki und einer jüngeren Mitschülerin, die noch nicht vorkam. Die einzelnen Storys waren kurz, daher wurde beschlossen, daraus eine Omnibus-Serie zu machen. So ist Küsse und weiße Lilien für meine Liebste entstanden.

Im Zentrum der Reihe stehen die strebsam-fleißige Ayaka und der außergewöhnlich begabte Yurine. Wie kam Ihnen die Idee zu diesem Pärchen?

Canno: Ich wollte schon immer einmal eine Geschichte über ein Genie und einen fleißigen Charakter zeichnen. Daher hatte ich als aller erstes die Story dieser beiden eingereicht. Ich mag grundsätzlich Pairings, wo die eine Person gegenüber der anderen einen Minderwertigkeitskomplex hat. Daher ist die Struktur relativ klar: Yurine, die alles kann und Ayane, die zwar eine Musterschülerin ist, aber immer nur den zweiten Platz bekommt.

In der Reihe widmen Sie sich aber nicht nur Ayaka und Yurine, sondern auch weiteren Mädchen an der Seiran-Akademie, darunter Ayakas Cousine Mizuki und deren Freundin Moe. Wie haben Sie die einzelnen Pärchen zusammengestellt? Gibt es zum Beispiel bestimmte Charakter-Konstellationen, die Sie schon immer reizvoll fanden und deshalb unbedingt einbauen wollten?

Canno: Beim Ausdenken von Pärchen überlege ich mir meist gleichzeitig die beiden (manchmal auch drei) Charaktere. Im Fall von Mizuki und Moe ist es das Paar „Prinz und Prinzessin“, bei Chiharu und Isumi „Schülerin des Disziplinarkomitees und Girlie“. In dieser Art überlege ich mir erst einmal das Grundkonzept des Settings und entwickle danach das Aussehen, die Persönlichkeiten und so weiter, also die charaktereigenen Punkte. Alle Pärchen enthalten Elemente, die ich mag, aber Sawa und Itsuki aus dem fünften Band stellen einen Pairing-Typ dar, den ich seit jeher mochte: Eine Senpai-Charakter, der leider vieles nicht mitbekommt, aber in Situationen, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, entschlossen ist, und deren Kohai (jüngere Mitschülerin), die zwar hübsch ist, aber einen lästigen Charakter hat.

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© Canno 2014/KADOKAWA CORPORATION
Haben Sie eine Lieblingsszene im ersten Band, die Sie uns verraten möchten?

Canno: Die Szene am Ende des ersten Kapitels, wo Ayaka zu Yurine sagt: „Ich werde dir zeigen, dass du nur ein Mensch bist, obwohl du zweifelsfrei begabter bist als andere!“ Küsse und weiße Lilien habe ich unter anderem gezeichnet, weil ich Gesichtsausdrücke zeichnen wollte. Ich mag es besonders, weinende und wütende Gesichter zu zeichnen. Deshalb hat es mir Spaß gemacht, den wütenden Gesichtsausdruck von Ayaka zu zeichnen. Diese Szene stellt den Anfang der Beziehung der beiden dar. Daher ist es eine Szene, die als wichtiges Element der Story einen starken Eindruck hinterlassen hat. Ansonsten ist mir die Szene aus dem fünften Kapitel in Erinnerung geblieben, wo Ayaka Yurine den Blumenstrauß überreicht. Bitte lest diese Stelle noch einmal, wenn ihr die Geschichte bis zum letzten Kapitel im zehnten Band gelesen habt.

Küsse und weiße Lilien für meine Liebste erschien erstmals 2013 in Japan, mittlerweile haben Sie die Reihe in stolzen zehn Bänden abgeschlossen und auch schon neue Projekte veröffentlicht. Welchen Stellenwert hat die Reihe für Sie und Ihre künstlerische Entwicklung, wenn Sie jetzt zurückblicken? Oder anders gefragt: Welche Erfahrungen haben Sie für Ihre Folgeprojekte gewinnen können?

Canno: Vor Küsse und weiße Lilien habe ich Mangas nur als Hobby gezeichnet. Einen Manga zu zeichnen, der nicht in einem Kapitel abgeschlossen ist, ein Abdruck in einer Zeitschrift, der Check durch einen Redakteur … das alles waren Dinge, die ich zum ersten Mal erlebte. Auch während der Arbeit an der Serie habe ich einige in sich abgeschlossene Geschichten parallel gezeichnet, aber die meiste Zeit habe ich mit dem Zeichnen an Küsse und weiße Lilien verbracht. Wenn ich mich etwas entwickelt haben sollte, dann war es dank aller Erfahrungen, die ich durch Küsse und weiße Lilien sammeln konnte. Wenn ich nur hobbymäßig weitergezeichnet hätte, hätte ich sicherlich auch nicht die Chance gehabt, dass mein Werk in einer ausländischen Version von euch gelesen wird. Küsse und weiße Lilien hat mir also die Möglichkeit eröffnet, dass mein Manga von so vielen Leuten gelesen wird, deshalb bedeutet mir das Werk viel.

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eclair ANATA NI HIBIKU YURI ANTHOLOGY © KADOKAWA CORPORATION 2016
Die Reihe ist das erste lange Werk aus Ihrer Feder, das auf Deutsch erscheint – die hiesigen Fans kennen Sie aber bereits durch Ihre Beiträge von Die Arbeitslose und das Schulmädchen in der éclair-Anthologie. Wie kam es dazu, dass Sie Teil der Anthologie wurden und was hat Sie zu dieser Geschichte über die Arbeitslose Mao und die Oberschülerin Hazumi inspiriert?
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Das japanische Cover des Sammelbands zu Die Arbeitslose und das Schulmädchen © KADOKAWA CORPORATION

Canno: Ein Redakteur, der an der Anthologie arbeitete, hat mich angesprochen – und so kam es, dass ich für éclair zeichnete. Ich hatte zunächst den Charakter Mao entwickelt und habe mir danach Hazumi ausgedacht. Bevor ich Mao entwickelt hatte, habe ich mir Gedanken über die Zukunft von Yurine aus Küsse und weiße Lilien für meine Liebste gemacht, wovon ich wohl beeinflusst wurde. In meiner Vorstellung ist nämlich Yurine in der Zukunft arbeitslos und um den Unterhalt kümmert sich Ayaka. Allerdings wurde dieses Setting von meinem Redakteur abgelehnt. Dadurch hatte ich den Drang, einen arbeitslosen Charakter zu zeichnen, woraufhin Mao entstand. Um nun eine Geschichte über Mao zu zeichnen, um die sich gekümmert werden musste, habe ich Hazumi entwickelt. Das Setting passte perfekt: Hazumi hat zwar genug Geld, um sich um Mao zu kümmern, aber gleichzeitig gibt es auch eine Hürde, da sie noch zur Highschool geht. Ich hatte beim Zeichnen nie ein bestimmtes Ende zu der Geschichte der beiden im Kopf, da nicht bekannt war, wie viele Bände éclair haben würde. Aber in dem Sammelband Canno Tanhenshu Mushoku to JK kann man nun auch lesen, wie die es ausgeht.
 

Interview: Canno über weiße Lilien und Küsse für meine Liebste
© KADOKAWA CORPORATION
2020 startete Ihr aktuelles Werk Gokaku no Tame no! Yasashii Sankaku Kankei Nyuumon (auf Dt. etwa: Fürs Bestehen! Eine einfache Einführung in Dreiecksbeziehungen, links: jap. Cover Band 1). Können Sie unseren Leser:innen etwas darüber erzählen, damit sie sich für eine Lizenzierung einsetzen können?

Canno: Es ist wieder eine Yuri-Geschichte und erzählt die Dreiecksbeziehung zwischen Masaki, Rin und Akira. Die Hauptfigur Masaki möchte gerne die Schule von Akira – der Senpai, die sie bewundert – besuchen. Allerdings ist sie nicht gut in der Schule und entsprechend sehen ihre Noten aus, die kaum reichen werden, um für diese Schule zugelassen zu werden. Sie heuert Rin an und bekommt Nachhilfe, aber in Wirklichkeit sind Rin und Akira enge Freundinnen und Akira ist in Rin verliebt. Diese Geschichte erzählt die einseitige Dreiecksbeziehung der drei Mädchen und wie sich die Dinge langsam verwickeln und alles kompliziert wird.

Haben Sie zum Schluss noch eine Botschaft an Ihre deutschsprachigen Fans?

Canno: Es freut mich, dass auch deutschsprachige Leser meine Mangas lesen. In Küsse und weiße Lilien für meine Liebste kommen verschiedene Pärchen vor. Bitte findet euren persönlichen Lieblingscharakter und euer Lieblingspärchen. Es ist eine Serie, aber die Geschichten sind jeweils pro Band in sich abgeschlossen. Deshalb könnt ihr auch ruhig nur den jeweiligen Band lesen mit dem Charakter auf dem Cover, der euer Favorit werden könnte. Ich würde mich freuen, wenn ihr Spaß beim Lesen habt! Gokaku no Tame no! Yasashii Sankaku Kankei Nyuumon ist vom Touch her etwas anders als Küsse und weiße Lilien für meine Liebste und auch ein interessanter Manga geworden. Ich wünsche mir, dass ihr das Werk auch irgendwann lesen könnt. Vielen Dank!

Canno-sensei, vielen Dank für Ihre Zeit und Antworten!