Interview: Anne Pätzke über BOUND

Interview: Anne Plätzke über BOUND
© Anne Pätzke / Altraverse GmbH

Am 16. April startet Anne Pätzkes Boys’-Love-Webtoon BOUND in gedruckter Form bei altraverse! Wir haben uns mit der Künstlerin (u. a. Anna Blue – Off the Record) zu einem ausführlichen Interview zuliebe des Social Distancing via Zoom zusammengesetzt. Was sie uns über ihr Werk, ihre Arbeitsweise, ihre Assistenten und vieles mehr verraten hat, könnt ihr hier im kompletten Interview nachlesen. Unsere Review zu Band 1 lest ihr in der aktuellen AnimaniA 2/2021!

Interview: Anne Pätzke über BOUND
© Anne Pätzke / Altraverse GmbH
Liebe Anne, stellst du dich unseren Lesern zunächst kurz vor und erzählst, wie du zum Zeichnen gekommen bist?

Anne Pätzke (AP): Ich komme aus Frankfurt, dem kleineren an der polnischen Grenze, und bin 2005 nach Berlin gezogen. Gezeichnet habe ich schon immer. Sei es an der Tapete oder dem Seitenrand des College Blocks im Unterricht. Meine ersten Comicversuche waren natürlich schauderhaft, aber ich war permanent am Zeichnen und es machte mich happy. Vor dem Abitur stand dann zur Debatte, was ich eigentlich werden wollte. Ich wollte natürlich in die kreative Richtung gehen. Meine Eltern fanden das ganz furchtbar und versuchten, mir eine Beamtenlaufbahn schmackhaft zu machen, weil kreative Berufe so unsicher erschienen. Am Ende unterstützen sie aber, Gott sei Dank, meinen Entschluss. Ich zog also nach dem Abitur nach Berlin, wurde Grafikdesignerin für Print und illustrierte nebenbei für verschiedene Firmen. Das elterliche Misstrauen gegenüber „dem Handwerk“ flaute erst ab, als ich den ersten Job hatte und meine Mutter irgendwann vor einem Rossmann-Regal stand und ein von mir illustriertes Spiel in der Hand hielt. So wurde das Ganze für sie „greifbarer“. In den vergangenen Jahren haben sich in meinem Portfolio drei Kulla-Bücher, knapp 100 Spiele, Illustrationen für andere Autoren und Magazin-Jobs angehäuft. Irgendwann bin ich dann wieder zu den Comics zurückgekehrt. Die große Jugendliebe halt.

Interview: Anne Plätzke
Du hast bereits an ganz vielen unterschiedlichen Projekten gearbeitet. Woraus resultiert diese Bandbreite?

AP: Ich befürchte, das ist reine Neugier, purer Optimismus und sehr viel Glück. Ich wollte gerne Grenzen austesten, Materialien, Konzepte. Bei vielen Projekten war massive Ehrfurcht dabei und die Erfahrungen, die ich dabei sammeln konnte, helfen mir jetzt bei den aktuellen Projekten immer noch. Es ist ein ziemlicher Luxus, wenn man so viele unterschiedliche Sachen machen darf und die Kunden dafür auch bezahlen. Die Angst vor neuen Herausforderungen wird geringer. Zu der Zeit, wo ich an Kulla und Anna Blue gearbeitet habe, war es immer das Richtige für mich. Wenn es das nicht mehr war … bin ich weitergezogen.

Wie ist die Idee zu BOUND entstanden?

AP: Nach zehn Jahren freelancen und für andere zeichnen, wollte ich wieder etwas für mich machen. Ein kleines Egoistenprojekt – just for fun. Bei BOUND existierte zunächst ein Bild von Embry mit Katze. Davon ging dann folgender Gedanke aus: „Was, wenn die stärkste Person, die am meisten eingeschränkte ist, praktisch allein nicht existieren kann?“ So kam die Idee der Dualität zustande. Die Fragen, die daraus resultierten, haben andere Fragen aufgeworfen. So ist es recht organisch gewachsen und wurde zu einem kleinen Monster. Das Universum wächst fröhlich vor sich hin und alle sind live dabei. Das ist der spannende Teil daran.

Gibt es einen Charakter in deinem Werk, den du ganz besonders magst und warum?

AP: Ich glaube, für mich persönlich ist Aik am spannendsten. Ich dachte, dass der beziehungsscheue Magus, der ansonsten alles mitnimmt, was nicht bei drei auf dem Baum sitzt, mehr aneckt. Weil es nicht dem entspricht, was man sich so als „boyfriend material“ vorstellt. Falls ich irgendwann Zeit habe, würde ich gerne seine Hintergrundstory näher beleuchten. Das passt nur leider nicht in den aktuellen Zeitstrahl der Geschichte. Aber es juckt mir in den Fingern. Prinzipiell hab ich alle gern, auch die Fieslinge. In BOUND gibt es viele moralische Grauzonen. Dadurch existiert nicht der „Bad Guy“ per se.

Interview: Anne Pätzke über BOUND
Ausschnitt aus dem Storyboard
BOUND ist anfangs auf Instagram erschienen. War dadurch auch das quadratische Format vorgegeben?

AP: Ja, wenn du erst mal 56 Seiten fertiggestellt hast, willst du es nicht noch einmal ändern. Augen zu und durch. (lacht) Gott sei Dank werden bei den meisten Druckereien jetzt auch quadratische Formate angeboten. Bei altraverse war die Diskussion darüber zum Glück ebenfalls sehr entspannt und jetzt bleiben wir dabei, selbst wenn es sehr speziell ist. Ich befürchte, irgendwann muss ich mal ein nicht quadratisches Buch machen. Es ist ein bisschen wie ein Fluch. (Anm. d. Redaktion: Die Kulla-Bücher sind ebenfalls quadratisch.)

Warum hattest du dich ursprünglich für Instagram entschieden und wieso bist du schließlich zu Tapas gewechselt?

AP: Für Instagram hatte ich mich entschieden, weil ich dort die größte Abonnentenzahl akkumuliert hatte. Es war für mich der Spielplatz, auf dem ich herumtoben und auf dem ich austesten konnte, was geht und ob es für das Publikum überhaupt interessant ist. Ab einem bestimmten Punkt war die ganze Sache für neu hinzukommende Leser auf Instagram sehr unübersichtlich. Dort gibt es kein Casual Scrolling wie bei Tapas und Webtoon. Instagram macht es den Leuten dahingehend nicht unbedingt leicht mit dem Interface. Nicht alle wissen, dass es eine Post-Übersicht gibt. So kam es, dass ich mich entschied, zu Tapas zu wechseln. Wenn man mit anderen Web-Publishern spricht und genau zuhört, bekommt man schnell raus, welche Plattform am besten passt für ein Projekt. Mir gefiel bei Tapas auch das Interface besser und dass es nicht die größte Plattform ist, war mir auch egal. Ich wollte mir den Spaß an der Sache nicht verderben und ein gesundes Umfeld ist mir im Endeffekt auch wichtiger als der hundertmillionste Klick.

Interview: Anne Pätzke über BOUND
BOUND ist zunächst in englischer Sprache erschienen. Nun erscheint es in Deutsch. Macht es für dich persönlich einen Unterschied, in welcher Sprache du arbeitest?

AP: Für mich, die ich 14 Jahre in einer englischsprachigen Firma gearbeitet habe, war es der natürliche Weg, gleich in Englisch zu arbeiten. Du musst abwägen. Wer folgt dir? Mit wem hast du am meisten zu tun und wer sind die Leser? Hinzu kommt, dass man, wenn man auf einer internationalen Plattform nur auf Deutsch publiziert, 99 % der potentiellen Leser verschenkt und ausschließt. Was ich sehr schade gefunden hätte, insbesondere dann, wenn es die Möglichkeit gibt, mit einem Upload fast alle zu erreichen. Zeitlich hatte ich allerdings keine Kapazitäten, alles noch mal auf Deutsch zu machen. Aber dann gab es eines schönen Sonntagnachmittags ein längeres Gespräch mit Jo (Joachim Kaps) und so kam es zustande, dass ich nun nach anderthalb Jahren mit der Story nach Deutschland zurückkomme. Das ist schon ein bisschen seltsam.

Du finanzierst dich auch über Online-Plattformen wie Ko-fi. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?

AP: Ko-fi ist wie Patreon eine Art privates Mäzenatentum. Ob man langfristig oder kurzfristig unterstützen will, kann jeder selbst entscheiden. Du arbeitest praktisch nicht wie bei Crowdfunding in kürzester Zeit auf ein Produkt hin, sondern die Leute haben die Möglichkeit, auch länger dabei zu sein und etwas zu fördern, das sie mögen. Da die Gewinnausschüttung bei Tapas selbst bei einer Million Klicks eher … nennen wir es einmal “übersichtlich” ist, sind Webcomic-Zeichner auf Leser, die auch bereit sind, dich bei deiner Arbeit zu unterstützen, angewiesen. Manche Seiten und auch Kurzgeschichten, die ich ganz bewusst nicht auf Tapas frei verfügbar mache, sind nur für Abonnenten auf Ko-fi einsehbar oder komplett „print only“. Einige der Tapas-Leser finden das natürlich doof, aber die meisten haben dafür absolut Verständnis. Viele Anfänger haben eine etwas romantische Vorstellung von Web Publishing: Schneller Erfolg und schneller Ruhm ist gleich schnelles Geld. Ich selbst gehe davon aus, dass unter ein Prozent der Leser auch bereit ist, Geld zu investieren. Das klingt erst mal schockierend und deprimierend, schafft aber eine gesunde Erwartungshaltung.

Gab es Vermarktungsstrategien, für die du dich bei BOUND bewusst entschieden hast?

AP: Ich weiß nicht, ob man es als „Vermarktungsstrategie“ bezeichnen kann, etwas ins Internet zu werfen und zu sagen: „Hurra, da bin ich.“ Für mich war es wichtig, dass ich nicht „allover the place“ bin. Es gibt mit Tapas eine Anlaufstelle für den Comic und einen Shop. Und für diejenigen, die das Projekt gerne unterstützen wollen, bin ich auf Ko-fi zu finden. Das war’s. Ich hab nur eine begrenzte Anzahl an Stunden, die ich in das Projekt stecken kann und ich glaube, man muss nicht überall sein. Andere Zeichner fahren mit der Strategie auch ganz gut und im Endeffekt muss man immer wieder überlegen: Was kann und will ich leisten, ohne zu sehr von der eigentlichen Arbeit abzudriften?

Anne Pätzke zeigt euch, wie sie arbeitet.
Welche Strategien zur Monetarisierung kannst du Kreativen dann empfehlen, die einen eigenen Comic online veröffentlichen wollen?

AP: Neue Künstler möchte ich zunächst warnen, dass, wie schon erwähnt, nur ein sehr geringer Prozentsatz der Leser auch bereit ist, zu zahlen. Dann haben sie auch kein Problem mit einer falschen Erwartungshaltung. Selbst wenn man total tollen Content hat, bist du nur einer von Tausenden auf der Plattform. Und als Neuling stellst du dich wahrscheinlich hinten in der Schlange an. Je nachdem, wie viel Zeit für ein Projekt zur Verfügung steht, würde ich anfangs entspannt zeichnen und hochladen, ohne sofort Profit zu erwarten. Ich habe im Februar 2019 begonnen und erst im Dezember fand das Projekt vermehrt Beachtung. Im August 2020 hatte ich erste Angebote von Publishern. Ich kenne nur wenige, die sofort nach den ersten Seiten direkt unter Vertrag genommen wurden. Man muss geduldig sein. Patreon und Ko-fi sind immer gut und als Standbein wichtig. Prints ebenso. Macht euch vorher Gedanken, welche Plattformen für euch infrage kommen und wie ihr sie bespielen wollt. Redet höflich mit anderen Zeichnern. Viele an die Web-Publishing-Plattformen angebundene Foren bieten ebenfalls gute Unterstützung. Final wird euch jeder Zeichner andere Tipps geben, deswegen ist es so wichtig, sich auszutauschen. Das, was ihr machen wollt, muss zu euch und euren Projekten passen.

Du verkaufst auch Merchandise über einen Webshop. Welche Tipps kannst du dazu geben?

AP: Fangt klein an! Niemand benötigt von einer Illustration 100 Drucke, auch nicht bei einer Convention – wenn sie denn mal wieder stattfinden. Dadurch, dass inzwischen sehr gute Online-Druckereien existieren, ist es möglich, 25 Stück von dem und 10 Stück von dem zu machen. Man kann sich ganz vorsichtig und finanziell nachhaltig rantasten, ohne pleite zu gehen und deprimiert zu sein, weil es keiner kaufen will. 25 Prints, die herumliegen, tun nicht so weh wie 100. Bei Büchern plane ich erst einmal über Vorbestellungen und bei Merchandise überlege ich mir recht genau, was zu meiner Serie passt. BOUND schreit nicht unbedingt nach Plastik mit seinem eher mittelalterlichen Setting. Ich finde, solche Gedanken kann und sollte man einfließen lassen und darf das auch klar kommunizieren. Natürlich gibt es immer Produkte, die gerade in dem Augenblick total „in“ sind und die alle machen. Bei den anderen zu schielen, was gut läuft, ist also nicht verboten. Überlegt euch nur, ob ihr das dann final wirklich braucht. Ein Webshop macht außerdem viel Arbeit und birgt ein gewisses Risiko, da man auf Dingen sitzenbleiben könnte. Aber ein Paket mit den eigenen Druckprodukten um die Welt zu senden, fühlt sich schon verdammt gut an.

Anne Pätzke zeigt euch, wie sie arbeitet.
Du hast schon in verschiedenen Genres gearbeitet. Mit BOUND bist du jetzt zu Boys’ Love gewechselt. Worin liegt der Reiz bei Boys’ und Girls’ Love?

AP: Für mich persönlich liegt der Reiz darin, dass du bestimmte Verhaltensmuster initial aushebelst. Ich finde, Beziehungen zu betrachten und zu erzählen, ist an sich sehr spannend. Da ist es egal, ob sie zwischen Mädchen, Jungs oder allem bunt gemischt ablaufen. Hauptsache, es bleibt interessant! Wir leben in einer Zeit, wo das an sich auch gar nicht mehr so von Bedeutung sein sollte, weswegen ich Präferenzen der Figuren auch nie erklären oder explizit aufschlüsseln will. In der Welt von BOUND gibt es keine Einschränkungen. Niemand schaut den anderen schräg an, höchstens für seinen schlechten Geschmack. (lacht) Boys’ Love als Genre wurde schon in allen Klischees und Facetten durchgenommen. Da ist es schwierig, eine epische Lovestory komplett neu zu erfinden. Dementsprechend versuche ich eher, eine gute Geschichte zu erzählen, in der bestimmte Handlungen nachvollziehbar sind. Emotionen wie Neid, Hass und Liebe sind universell. Jedem wurde schon mal das Herz gebrochen. Da ist es doch eigentlich egal, welches Geschlecht die Person hatte. Ansonsten passt BOUND wohl ohnehin nicht in die typische Boys’-Love-Kategorie. Viele, die mit der Erwartung dazukommen, eine Romance-Story mit nackter Haut präsentiert zu bekommen, irritiert es, wenn dann plötzlich Blut fließt.

Wie stehst du zu den typischen Boys’-Love-Storys?

AP: Rückfrage: „Was genau ist typisch?“ (lacht) Die einfach gestrickten Boys’-Love-Storys, die es schon hundertmal in leichter Variation gab, muss ich jetzt nicht unbedingt lesen und würde das auch ungern zeichnen. Ab einem bestimmten Punkt bist du einfach total gesättigt. Ich verstehe, warum Verlage so was veröffentlichen. Das ist eine sichere Bank wie jedes Jahr zu Weihnachten die unvermeidlichen Romance-Winter-Geschichten. Es funktioniert eben immer wieder. Die Leute wissen, was sie erwartet. Wenn Charaktere zu glatt sind oder sich etwas künstlich ohne Grund in die Länge zieht, wird es für mich schnell langweilig. Kuo eckt zum Beispiel ziemlich oft an. Ich habe noch nie so oft gehört: „Ich mag diesen Hauptcharakter nicht.“ Einfach, weil er schwer zu greifen ist. Alle haben auffällige Ecken und Kanten. Sie reagieren oft nicht so, wie das Publikum es erwartet. Für mich ist es spannend, herauszufinden, wie ich meine Leser und Leserinnen immer wieder von ihren Stühlen schubsen kann. Sie müssen sich dann aktiver mit der Person im Comic auseinandersetzen. Das ist nicht so bequem.

Interview: Anne Plätzke über BOUND
Den Einzelband Anna Blue – Off the Record findet ihr ebenfalls bei altraverse © Altraverse GmbH
Das steht aber in einem starken Kontrast zu Anna Blue!

AP: Anna Blue würde ich als Brand bezeichnen, die auch auf eine vollkommen andere und deutlich jüngere Zielgruppe aus ist. Natürlich durfte ich das Worldbuilding übernehmen, aber ich musste immer innerhalb eines bestimmten Rahmens bleiben. Ich konnte nicht einfach jemanden aus der Story streichen, weil ich die Person persönlich nicht mochte. Bei einem Auftrag muss ich den Fokus auf die Marke beziehungsweise das Projekt richten und meine eigenen Wünsche nach hinten schieben.

Wie würdest du selbst deinen Stil beschreiben und wie gehst du ans Zeichnen eines Kapitels respektive einer Seite heran?

AP: Puh, schwierig. Ich inke mit Procreate auf dem iPad und arbeite auch nicht sehr traditionell. Meine Arbeitsweise liegt sehr weit außerhalb der Norm, die man vom Manga und von Japanern gewohnt ist, genau wie das quadratische Format. Ich arbeite bei BOUND sehr filigran und mit feinen Linien. Eigentlich wollte ich immer einen kräftigeren Stil haben und es nervt mich auch, aber es funktioniert halt. (lacht)  Ich versuche zudem, sehr ökonomisch und reduziert an die Hintergründe ranzugehen, da ich durch Tapas wöchentliche Deadlines habe. Einen Webcomic zu produzieren ist stilistisch absolut „Wilder Westen“ und ich liebe es leider sehr.

Welcher Aspekt an deiner Arbeit macht dir am meisten Spaß und mit welchem quälst du dich am meisten herum?

AP: Ich mag das Skripten sehr und das Kolorieren. Das Skripten, weil es die Grundsteine legt und ich die Kopfarbeit sehr mag. Das Kolorieren, weil es der finale Teil ist, der die gesamte Vorarbeit zusammenbringt. Ich bin leider immer noch kein Fan vom Paneling, also dem Aufteilen der Story in einzelne Panels. Das ist für mich die absolute Kür und vielleicht werden wir irgendwann Freunde, aber der Teil ist … hart. Da ich keine Longscroller mache und auch nicht kompliziert alles wieder umbauen will, muss es für Web und Print passen. Das ist auch der einzige Teil der Arbeit, den ich immer noch traditionell mit Bleistift und Fineliner im Skizzenbuch mache.

Interview: Anne Pätzke über BOUND
Ausschnitt des Storyboards zu BOUND
Welche Künstler und Werke haben dich und deinen Stil geprägt?

AP: Ich versuche es eigentlich zu vermeiden, mich von jemand anderem inspirieren zu lassen. Einfach auch, weil ich nicht mit anderen Zeichnern verglichen werden möchte. „Das sieht so aus wie XY …“ nervt jeden Zeichner. Es sei denn, du machst zufällig Fanart. Ich lese vor allem Sachen, die relativ weit weg sind von dem, was ich selbst zeichne. Wenn ich jetzt verraten müsste, was in meinem Regal steht, dann sind das sehr viele CLAMP-Titel, die älteren Sachen bis 2000. Kia Asamiya (u. a. Silent Möbius) und Devils’ Line stehen auch im Regal. Die Anatomie ist teilweise der absolute Horror, aber es ist eine gute Story. Vom Stil her sind mir andere Zeichner ehrlich egal. Mir kommt es auf die Story an. Ich möchte, dass sie Emotionen weckt, und das schaffen manche Zeichner auch mit sehr reduzierten Strichen. Ich wünschte, ich könnte das, aber es liegt mir nicht. (lacht)

Interview: Anne Pätzke über BOUND
Welche Zeichenmaterialien verwendest du?

AP: Ich arbeite größtenteils digital, also habe ich ein iPad und einen normalen Desktop-Rechner. Für die Seiten-Thumbs benutze ich Fineliner oder Bleistift und ein Skizzenbuch. Das sind meine Standardbegleiter. Arbeitsbedingt arbeite ich sehr viel mit Adobe-Programmen und da fällt es schwer, sich von dem Trott zu lösen. In Photoshop bereite ich das Layout vor und setze die Panelrahmen. Dann schiebe ich das auf mein iPad, wo ich die finale Reinskizze und den Ink mache. Der geht dann an meine Farb-Flat-Fee Shanice, die die Basisflächen einfärbt – in den schönsten Neonfarben. Wenn ich den Augenkrebs dann zurückbekomme, lege ich die finalen Farben fest, koloriere und setze die Sprechblasen und den Text. Das ist der reguläre Arbeitsweg. Für Tapas muss ich noch alles in ein Layout schubsen, damit es den Vorgaben der Plattform entspricht und das war’s.

Interview: Anne Pätzke über BOUND
Einer von Anne Pätzkes zwei vierbeinigen Assistenten
Du lagerst also einige Arbeiten am Manga aus? Welche sind das, wie ist der Workflow und welche Probleme können auftauchen?

AP: Erstens habe ich zwei Beta-Leser fürs Englisch. Native Speaker sind nötig, um das Englisch zu korrigieren. Auch wenn 90 % korrekt sind, irgendwo sind trotzdem Fehler zu finden und die sollten nicht im Buch landen. Das Deutsche wird gern als wordy, wortreich, beschrieben. Das merkt man ja auch beim Übersetzen. Aus einem kleinen Text kann im Deutschen schnell ein Monster werden, das nicht in die Sprechblase passt. Mit den Beta-Lesern gehe ich einen Teil vom Skript von vornherein durch und bespreche, ob Änderungen nötig sind und ob es verständlich ist. Zudem lagere ich, wie eben erwähnt, die Farb Flats aus. Dieser Schritt nimmt für mich unfassbar viel Zeit in Anspruch und ich habe dafür einfach zu wenig Zeit und Geduld. (lacht). Es handelt sich ja praktisch rein ums digitale Ausmalen, das muss man nicht selbst machen. Wenn die Seiten gut vorbereitet sind, dann reduziert sich für mich die Arbeitszeit für das eigentliche Kolorieren tatsächlich um die Hälfte. Die Kosten dafür finanziere ich über die monatlichen Einnahmen. Kommen wir zu den Problemen: Wenn dir ein Flatter aus welchem Grund auch immer abspringt, etwa weil er keine Zeit mehr hat oder sein eigenes Projekt anfängt, dann bedeutet das, dass du jemanden Neuen suchen musst. Ich bin bei Flatter Nummer drei. Mit Shanice arbeite ich jetzt schon seit einem Jahr zusammen. Das klappt auch sehr gut und ich möchte natürlich, dass sie mir noch sehr lange erhalten bleibt. Denn wenn dir so jemand kurzfristig ausfällt, kommst du ins Straucheln. Natürlich kann dich auch mal die Technik im Stich lassen und das ist dann auch blöd. Oder der Druck sieht schlimm aus. Es gibt immer wieder mal Dinge, die man nicht haben muss und die trotzdem passieren. Ich habe auch zwei vierbeinige Assistenten, Katzengeschwister. Die verdienen ihren Unterhalt leider nicht selbst. Sie latschen zuweilen über die Tastatur und haben mir sogar schon mal eine Seite geschlossen, da war ich gerade fertig. (lacht) Aber jetzt im Lockdown war es gut, dass da noch jemand oder etwas Lebendiges um mich herum war.

Im Stream hast du erzählt, dass du einige Seiten noch mal überarbeiten willst. Welche Gründe hast du dafür?

AP: Die Gründe sind recht schnell genannt. Mit den überarbeiteten Seiten findet man nun besser in die Story hinein und sie sehen schöner aus. (lacht) Im Normalfall fängt man ja von vorn an zu lesen und wenn die ersten zwanzig Seiten mies und konfus sind, dann sinken die Chancen, dass weitergelesen wird. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, sie neu zu machen. Wir haben auch einige Sonderseiten aus den Side-Storys mit ins Buch genommen. BOUND 1 hat original nur 120 Seiten. Jetzt sind es 160. Es ist viel umfangreicher. 

Wieviel Mitspracherecht hast du bei deinem BOUND-Projekt bei altraverse?

AP: Da ich den Comic anderthalb Jahre selbständig ohne Verlag veröffentlich habe, war die Frage: Wieviel kann und sollte man noch ändern an einem schon vier Bücher umfassenden Projekt, das hauptsächlich online läuft? Joachim Kaps hat BOUND redaktionell für die Überarbeitung der Anfangsseiten betreut. Das heißt, ich habe ihm einen Vorschlag gemacht, wie ich es machen würde, und entweder er fand es gut oder … eben nicht. Die originalen Seiten wurden teilweise wirklich stark auseinandergenommen und teilweise wurden Seiten entfernt, weil es nachträglich keinen Sinn macht, sie drin zu haben. Dafür sind andere Seiten reingerutscht, um den Lesefluss zu verbessern. Die deutsche Variante ist final tatsächlich die bessere. (lacht) Für die traditionelle Betreuung, wie man sie aus dem Printbereich kennt, bin ich wahrscheinlich zu „last minute“ mit meiner Arbeitsweise, da ich teilweise nachts beim Lettern noch mal Textstellen verbessere und das Skript immer nur für die kommenden 50-70 Seiten ausarbeite. Das richtet sich auch stark danach, ob bestimmte Story-Aspekte online missverstanden oder anders interpretiert werden und ich dann kommende Seiten anpassen muss. Ich bin froh, dass Joachim das mitmacht und das war auch der Grund, warum ich andere Angebote abgelehnt habe. Ich hätte mich massiv verbiegen müssen und das wollte ich nicht.

Möchtest du unseren Lesern vielleicht auch eine Leseempfehlung geben?

AP: Es gibt drei Serien die ich persönlich sehr gut finde. Zum einen ist das die wunderschöne LGBTQ-Story Heartstopper der Britin Alice Oseman. Sie ist vom Stil her extrem reduziert und man kann sie kostenlos auf Tapas lesen, um erst mal reinzuschnuppern. Grey is … von dee Juusan, einer Autorin aus Jordanien, ist ebenfalls auf Tapas zu finden und ist weniger Boys’ Love, sondern eher Slice of Life. Es ist allerdings keine durchweg fröhliche Story, sondern beinhaltet auch Heavy Content. Der Comic ist nachdenklich und besitzt viel Tiefe. Es macht Spaß ihn zu lesen. Es ist interessant zu sehen, wo der Comic angefangen hat und wo er jetzt gerade steht. Er ist auch noch nicht abgeschlossen. Und meine letzte Empfehlung ist von Bboong und kam bei Lezhin heraus, wo man ebenfalls kostenlos reinlesen kann. Der Titel ist abgeschlossen und heißt Out of Control. Dabei handelt es sich um Boys’ Love. Er beschäftigt sich aber auch mit dem Thema Mobbing, Vorurteilen und so weiter. Das Characterbuilding und wie die Beziehung zustande kommt, ist sehr gut ausgearbeitet. Die Protagonisten können sich am Anfang nicht ausstehen. Das macht es interessanter und realistischer.

Vielen Dank für das interessante Interview und noch viel Erfolg mit dem BOUND-Universum!

Übrigens: Ihr könnt Anne Pätzke auch auf ihren Accounts bei Twitter und Instagram folgen – dort hält sie euch über ihre Arbeit auf dem Laufenden. Die Tapas-Version von BOUND lest ihr hier.

Bilder © Anne Pätzke / Altraverse GmbH